Er sei immer noch in Gauting gemeldet, „obwohl ich schon vor 20 Jahren weggegangen bin“, leitet Fridolin Schley sein Tee-Gespräch bei Sabine Zaplin ein. Es sollte sich eine angenehme, völlig entspannte Plauderei zwischen zwei Schriftstellern entwickeln an diesem letzten Februar-Sonntag, denn das nächste Bekenntnis folgt auf dem Fuße: „Ich komme aus einer Kaffeetrinker-Familie“, sagt Schley gleich mal, als es um die mitgebrachte grün geblümte Tasse geht – englisches Service, nicht wieder zu beschaffendes Einzelstück aus dem Hause Schley, aber bitte nur Kaffee! Der vielfach preisgekrönte Autor verrät dazu, dass er schon seit 25 Jahren aus diesem Stück seine Koffeinzufuhr bekommt und seine Freundin ihm den Kaffee morgens nicht etwa nur aus Liebe ans Bett bringe, sondern aus der Erkenntnis, „dass ich sonst unerträglich bin“.
So unverstellt hat sich schon lang keiner mehr gezeigt bei Sabine Zaplins Tee-Stunde: Der in Gauting aufgewachsene Fridolin Schley, mit Anfang 20 eine Art schriftstellerischer Senkrechtstarter („Verloren. Mein Vater“, 2001; „Schwimmbadsommer“, 2003) ist an die Stätte seiner ersten Erfolge und an die stark autobiografisch genutzten Örtlichkeiten seiner Frühwerke zurückgekehrt. Nachdem er 1996 am Otto-von-Taube-Gymnasium das Abitur gemacht hatte, begann der Sohne eines Dokumentarfilmers zunächst ein Studium an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), doch dabei sei er „aus verschiedenen Gründen unglücklich gewesen“, erzählt Schley, „hoher Verwertungsdruck, viele Eitelkeiten“ hätten dort geherrscht: „Das Einzelkämpfertum des Schriftstellers, der Umgang mit Sprache, das lag mir mehr.“ Kaum 21, begann er „aus einem bestimmten persönlichen Krisengefühl heraus“ zusätzlich ein Studium der Literaturwissenschaft, Philosophie und Politologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, das er später in Berlin weiterführte, während der aber auch die HFF noch zu Ende machte. Ein damaliger WG-Mitbewohner und guter Freund ermunterte Schley dazu, an einem der seinerzeit in Mode kommenden „Creative Writing“-Kurse des Münchner Literaturhauses mit Tilman Spengler teilzunehmen – es sollte der Start zur schriftstellerischen Karriere werden: „Die Lektorin, die den Kurs leitete, hat für ihren Verlag gleich meinen ersten Roman gekauft - das typische Dilemma der vielen Absagen durch Verlage blieb mir so erspart“, berichtet der Gautinger vom bemerkenswert geglückten Auftakt seiner offiziellen Autoren-Laufbahn.
Schon für die Schülerzeitung „Taubenschlag“ des OVT-Gymnasiums hatte Fridolin mit 15 Jahren nach eigenem Bekunden „fürchterliche Texte“ verfasst, etwa das wüste Drama „Der lange Tod des Martin Hofer“; erste Freude an Erlebnisaufsätzen habe er jedoch schon in der 5. und 6.Klasse verspürt. Die ersten beiden Romane („Verloren. Mein Vater“ und „Schwimmbadsommer“) waren noch stark autobiografisch, als mit „viel Gauting“ gespeist, dann folgte der Aufbruch nach Berlin, später London und sogar New York. „Es gibt spannendere Orte für eine Kindheit als Königswiesen“, greift er beim Tee-Gespräch noch einmal weit zurück und sagt dann auch noch: „Ich liebe München, aber damals hatte ich das Gefühl, ich musste hier weg.“ Berlin habe er zunächst als „berauschend“ empfunden, später die sich ständig wandelnde Metropole mit ihrem „Hipster-Druck“ jedoch auch als anstrengend erlebt. „Viele sehen Berlin auch nur als Durchgangsstation, da ist es schwieri, stabile Freundeskreise aufzubauen“, sagt Schley heute. Das Schöne an München sei hingegen, „dass es sich kaum verändert“, das hat er als „Heimkehrer“ inzwischen erkannt. Schley arbeitet mittlerweile fest beim Literaturportal Bayern – eine „journalistisch-redaktionelle Tätigkeit“, wie er sagt; nur noch gelegentlich sei er als freier Lektor im Einsatz, einem Beruf, der sich seiner Beobachtung nach „weg vom Freund der Autoren eher Richtung Vertriebsmanager“ entwickelt: „Ich bin aber relativ gut beim Umswitchen vom pedantischen Oberlehrer-Blick des Lektors zur Autoren-Per-spektive.“ Auch als Herausgeber einer Essay-, Lyrik- und Geschichtensammlung mit dem Titel „Fremd“ (bei Kirchheim) wirkt er mittlerweile. Inspiriert worden sei dieses hoch aktuelle Projekt von der Flüchtlingsthematik, so Schley: Auf der Straße für ein „buntes“ Deutschland zu demonstrieren, das sei zwar wichtig, doch oft auch „zu einfach“ für einen Menschen des Worts. Es gehe ihm und anderen schreibenden Kollegen darum, sich differenziert zu äußern, „das Phänomen Fremdeheit weiter spannen“ – dies sei gerade durch das erforderlich, „was PEGIDA mit der Sprache anstellt – das ist für Schreibende hoch provokant“. Die versammelten Texte seien aber eben nicht nur „steif politisch“, sondern vielfältig, sogar humorvoll: „Es erleichtert die Menschen ungemein, wenn Zwischentöne zugelassen werden“, hat Schley bei ersten Lesungen beobachtet.
Als Fridolin Schley von Sabine Zaplin die klassische Frage nach dem „aktuellen Roman-Projekt“ gestellt wird, antwortet er ebenso „klassisch“, diese Frage habe er befürchtet – und verrät nur so viel, dass er dafür in Polen recherchiert habe und einem ihm bisher unbekannten Teiil der eigenen, schlesischen Familien-geschichte nachspüre. Schley streut ein, er sei fasziniert vom „Super 8“-Format (ein Thema, über das er bereits einen Bild/ Text-Band vorgelegt hat): Er sammle sogar Aufnahmen in dieser weichzeichnerischen Ästhetik sowie alte Fotografien, die Vieles aus der entsprechenden Zeit zu erzählen haben - „und vor allem das, was sie nicht zeigen!“ Schreiben, sagt Fridolin Schley, werde für ihn immer schwieriger, weil die Ansprüche an sich selbst gewachsen seien.
Die schriftstellerische „Unbekümmertheit“ der frühen Autoren-Jahre, sie ist vielleicht verloren gegangen, aber so etwas könnte man ja auch als natürlichen Reifeprozess verstehen. Doch solange es diese eine, „unersetzliche“ Kaffeetasse noch gibt, darf man sich gewiss freuen auf Fridolin Schleys weiteres Schaffen.