Also gut, liebe Teresa Reichl, machen wir das Experiment. Für die Aliens, die in ferner Zukunft mal auf einem liegengebliebenen Tablet diese Nachtkritik finden werden: es ist nicht zu fassen, aber Teresa Reichl hat vor dem ausverkauften bosco, also vor mehreren tausend Menschen (die anderen standen draußen staunend vor der Video-Leinwand) während ihres Rückwärts-Saltos Ukulele gespielt und dazu ein Tiergedicht rezitiert. Die Frau kann wirklich was! Und wer dabei war, weiß, was hier gemeint ist.
Für alle anderen: vor allem hat Teresa Reichl verstanden, wie das mit den Gerüchten funktioniert. Es gibt sehr hartnäckige Gerüchte über Frauen, die sich seit Jahrhunderten halten, ohne dass Gegenbeweise auch nur vermutet geschweige denn gefordert würden. Dass Frauen gar nicht auf den Chefsessel wollen, beispielsweise, dass sie gar nicht so viel Geld verdienen wollen oder verdient haben, weil sie ja gar nicht so viel können. „Obacht, i kann wos!“ lautet der Titel von Teresa Reichls Solo-Programm, das sie dem Gautinger Publikum im tatsächlich gut verkauften bosco präsentierte (und natürlich ohne Rückwärts-Salto, den hat sie gar nicht nötig). Es ist das erste Solo-Programm der 26-jährigen, die sich seit vielen Jahren bereist als Poetry-Slammerin einen Namen gemacht hat. Ihr Solo-Programm startete im Frühjahr 2020, und was dann geschah, zählt zu den traurigsten Kapiteln deutscher Kulturgeschichte. Doch nun, endlich, kann das Programm wieder gesehen werden.
„Das ist das Frechste und Dreisteste, was ich als junge Frau überhaupt wagen kann“, erzählt Teresa Reichl, „behaupten, dass ich was kann.“ Aber sie behauptet das nicht nur, sie beweist es. Der vergnügliche Streifzug durch ihr noch sehr junges Leben ist die Geschichte eines Mädchens aus Niederbayern, aufgewachsen in einem Fünfhundert-Seelendorf als zweites Kind mit einem als Party-Rudi bekannten Vater, einer die Tochter von klein auf in Theatergruppen steckenden Mutter und einem in der Kindheit sehr pflegeleichten Bruder. Teresa hatte also von klein auf gute Karten für eine Bühnenlaufbahn. Und die hat sie wahrgenommen. Schon in der Schule ist Teresa Reichl begeistert in die verschiedensten Rollengeschlüpft, ob nun auf der Bühne oder im Klassenzimmer. Später hat sie Lehramt studiert - „also einen Studiengang, der exakt und ausschließlich für einen einzigen Beruf gedacht ist - da denkt man doch, dieses Studium bereitet einen auf diesen Beruf ausgezeichnet vor.“ Nachdem sie feststellen musste, dass dem nicht so ist, hat sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Und zu dieser gehört die Fähigkeit, immer mal wieder zu lügen, dass sich die Balken biegen.
Da ist die Sache mit dem Rückwärts-Salto noch eine der leichtesten Übungen unter den Lügen im Zeichen des Kabaretts. Sie kann auch über Anwesende Dinge erzählen, deren fehlenden Wahrheitsgehalt diese gar nicht erst bemerken. Und hier ist sie wieder, die Brücke hinüber zum Feminismus, der bei Frauen der Generation von Teresa Reichl ganz andere, erfrischend neue Dimensionen annimmt. Das ist nicht nur frecher, spielerischer und diverser, sondern vor allem persönlicher. Wenn Teresa Reichl von ihrer Pubertät erzählt und von der Erfahrung, dass sie rund um den Eisprung skrupelloser wird - „Da denk i mir immer, mir kann eh nix passieren“; wenn sie vom fehlgedeuteten Abend im Hotelzimmer mit einem Kollegen berichtet oder wenn sie den sexualisierten Witzen männlicher Kollegen einen Vulva-Witz entgegensetzt, dann ist das so schonungslos und ehrlich, wie man es nicht oft zu sehen bekommt.
Vielleicht wies das Programm im zweiten Teil ein paar Längen auf, vielleicht darf man von einer Poetry-Slammerin ein etwas besseres Gespür für Timing erwarten. Aber das mag alles noch eine Nachwirkung der langen Corona-Pause sein. Eines ist gewiss und sei allen Aliens ins Tablet geschrieben: von dieser Frau werden wir noch viel zu sehen bekommen!