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Veranstaltungsinfo

Fr, 28.10.2022
20.00 Uhr
Schauspiel

30,00 / 15,00

Regulär / bis 25 Jahre

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Theater Freiburg: "Anne-Marie die Schönheit" von Yasmina Reza

Mit „Anne-Marie die Schönheit“ ist der erfolgreichen Roman- und Theaterautorin Yasmina Reza ein ebenso berührender wie komischer Monolog gelungen.

Einst schnitt sie Bilder von Brigitte Bardot aus Illustrierten aus und klebte sie in ein Album, das sie imaginären Besuchern zeigte, denen sie aus ihrem Leben erzählte: „Denn diese Schönheit war natürlich ich. Anne-Marie die Schönheit.“ Jetzt blickt die gealterte Schauspielerin Anna-Marie auf ihr Leben zurück: das Aufwachsen in einer Arbeiterfamilie in der französischen Provinz, ihr Schauspielerinnendasein an einem Pariser Vorstadttheater, ihre langweilige Ehe und ihre peinlichen Liebhaber. Im Gegensatz zu ihrer erfolgreichen und von ihr bewunderten Schauspielkollegin Giselle war Anne-Marie nie eine Schönheit, keine Diva, sondern eine jener vielen kleinen Schauspieler*innen, deren Namen in Vergessenheit geraten. Doch mit dem schönen Schein des Theaters fand sie eine Gegenwelt zu ihrer sonst freudlosen Lebenswirklichkeit, von der sie noch heute zehrt. So sagt sie: „Es heißt. Die glücklichsten Leben sind diejenigen, in denen nicht viel passiert. Ich hatte ein glückliches Leben.“ In Anne-Maries Erinnerung verschwimmen die Realität des Alltags mit den Sternstunden ihres Theaterlebens. Es sind Berufs- und Alltagserinnerungslandschaften, durch die sie wandert. Dabei sind ihre Erinnerungen – so trügerisch und zweifelhaft sie auch sein mögen – ein großer kultureller Erfahrungsschatz.

Yasmina Reza, die selbst ausgebildete Schauspielerin ist, wurde durch ihre Komödien „Kunst“ und „Der Gott des Gemetzels“ zur weltweit meistaufgeführten zeitgenössischen Dramatikerin. Es ist ihr ausdrücklicher Wunsch, dass Anne-Marie „aus Gründen der Distanz und Allgemeingültigkeit“ von einem männlichen Schauspieler gespielt wird. Der Schweizer Ausnahmeschauspieler Robert Hunger- Bühler – bekannt u. a. als Mephisto in Peter Steins legendärem „Faust“ – sicherte sich bei der Autorin, die ihn mehrfach auf der Bühne gesehen hat, höchstpersönlich die deutschsprachige Erstaufführung. Peter Carp, Intendant des Theaters Freiburg, inszeniert den ebenso berührenden wie komischen Monolog im Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer und mit Kostümen von Gabriele Rupprecht.

Regie PETER CARP
Bühne KASPAR ZWIMPFER
Kostüme GABRIELLE RUPPRECHT
Mit ROBERT HUNGER-BÜHLER

Einführung 19:15 Uhr
Dauer 1.45 Std., keine Pause

 

Unterstützt durch das NATIONALE PERFORMANCE NETZ Gastspielförderung Theater, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, sowie den Kultur- und Kunstministerien der Länder.

                                             

Gefördert von:

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Nach(t)kritik
Vom Gestalten der Erinnerungen
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Bedächtig geht, schlurft, schleicht die alte Frau um die Vitrinen ihrer Erinnerungen. Mal nimmt sie hier einen Gegenstand heraus, schluckt dort ein paar bittere Pillen hinunter oder dreht ein gerahmtes Foto um. Dabei summt sie immer wieder, als müsse sie die Worte, mit denen sie ihre Erinnerungen beschreiben, beschwören will, erst auf der Zunge abschmecken und dann vorsichtig über die Lippen bringen. Die alte Frau war Schauspielerin. Ihr Leben lang stand sie auf der Bühne - nicht auf den großen Bühnen, es war eine kleine Truppe. „Auf der Bühne war ich manchmal Anne-Marie, die Schönheit“, kommt es ihr über die Lippen. Und dabei steht sie kerzengerade da und schaut der imaginierten Journalistin, der sie ihr Leben erzählt, direkt in die Augen.

Robert Hunger-Bühler ist „Anne-Marie die Schönheit“ von Yasmina Reza. Und beim Zusehen versteht man sofort, warum die französische Erfolgsautorin den Schweizer Schauspieler für diese Rolle haben wollte. Hunger-Bühler spielt mit wenigen, klaren Akzenten diese Frau, die auf dem schmalen Grat zwischen Vorstellung und Wirklichkeit über ihr Leben balanciert. Und er spielt gleichzeitig den Schauspieler, der diese Rolle übernimmt, ohne dabei die eigene männliche Identität zu verleugnen. So tritt Anne-Marie in ihrer ganzen Tragik zutage: als ein Mensch, der vom Spielen anderer Identitäten lebt und dabei Fertigkeiten entwickelt hat, das Gefühl der eigenen Unvollkommenheit zu verbergen.

Schon immer ging es in Anne-Maries Leben um geborgte Identität. Als kleines Mädchen schneidet sie aus den Illustrierten der Mutter Fotos von Brigitte Bardot aus und klebt sie in ein Album, als wäre es ihr Leben. Später erträgt sie geduldig die Bemerkungen der Mutter, sie sei doch viel zu hässlich für die Bühne. Da hat sie sich schon längst aus der französischen Provinz herausgeträumt, hat sich im Zentrum jener Schauspieltruppe gesehen, die regelmäßig den Ort besuchte und deren Mitglieder stolz und majestätisch groß über den piefigen Marktplatz stolzierten. Ähnlich stolz war dann später die Kollegin Giselle, die immer die besseren Rollen bekam und die attraktiveren Männer und die irgendwann Karriere beim Film machte, während Anne-Maries Leben stagnierte im Staub der kleinen, unbedeutenden Bühne.

Und wie schnell so ein Leben vorüberrast, und wie brutal der Lauf der Zeit die eigenen Pläne überholt. Anne-Marie ist alt geworden, ohne jemals aus der Provinz herausgefunden zu haben. Wie schwer dieses Alter auf ihr lastet und wie verloren sie zwischen ihren Wünschen und Verletzungen umherirrt, das spielt Robert Hunger-Bühler in der sensiblen Inszenierung von Peter Carp auf eine Weise, die unter die Haut geht. Mal zwängt er sich durch eine viel zu eng zwischen Vitrinenwänden gebaute Tür, um dann beinahe befreit hinter der Vitrine wieder hervorzutreten, Zwei-, drei Mal nimmt er seitlich an einem Schminktisch Platz, um sehr bedächtig einen Lippenstift aufzutragen oder eine Perlenkette anzulegen. Es hat etwas im wahrsten Sinn des Wortes Un-Beholfenes, wenn diese Anne-Marie zwischen den Fragmenten ihres Lebens nach Spuren sucht, während gleichzeitig die Worte aus ihr herausbrechen, mal leise und zurückhaltend, dann wieder mit großer Verve. Ein ungeordneter Erinnerungsschwall, der im Ausgesprochenwerden gestaltet wird - und der sich manchmal nicht mehr einfangen lässt und dann ungestaltet, roh bleibt. Am Ende bleibt die verstörende Erkenntnis, dass die Gestaltungsspielräume eines Lebens so eng sind wie die zu schmal eingefasste Tür - und dass sich nur wenige Fluchtspalten auftun. Die letzte ist vermutlich der Tod.

Galerie
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Fr, 28.10.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.