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Veranstaltungsinfo

So, 04.12.2022
20.00 Uhr
Schauspiel

32,00 / 15,00

Regulär / bis 25 Jahre

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Théâtre National du Luxembourg: "Zauberberg" nach dem Roman von Thomas Mann

Thomas Mann erzählt von großem Stumpfsinn und großer Gereiztheit, Ordnung und Freiheit, Krieg und Frieden, Moral und Zerstörung, von Ski und Après-Ski, Liebe und Tod. Inmitten einer Pandemie.

Florian Hirsch hat aus „Der Zauberberg“ eine Lesart für unsere Gegenwart destilliert. Eine Soziologie der Leiden: Paradies und Verdammnis, Rausch und Ernüchterung, Bewegung und Stillstand, Ordnung und Freiheit, Liebe und Tod. Eine Entdeckungsreise mit ungewissem Ausgang und schwankenden Fieberkurven inmitten einer Pandemie. Eine Kur ohne Heilung. Ein Schneesturm. Ein Maskenball. Ein Danse Macabre. Ein zeitentrücktes wie zeitaktuelles Portrait des modernen Menschen. Regisseur Frank Hoffmann stehen einige jener besonderen Schauspieler*innen zur Verfügung, die es braucht, um große Literatur auf der Bühne hautnah erlebbar zu machen.

Ursprünglich als kleines, „humoristisches Gegenstück“ zur Cholera-Novelle Der Tod in Venedig konzipiert, entwirft Der Zauberberg ein monumentales, flirrendes, europäisches Alpenpanorama – und zugleich ein berückendes Innenportrait des modernen Menschen, den auch die Maske nicht vor der Wahrheit, der Unvernunft und der Erkenntnis des Todes schützen kann.

Hans Castorp, ein früh verwaister Ingenieur aus gutbürgerlichen Verhältnissen reist im Sommer 1907 für drei Wochen aus seiner Heimatstadt Hamburg nach Davos, um seinen lungenkranken Vetter Joachim Ziemßen zu besuchen. Der "hermetische Zauber" des vornehmen Sanatoriums Berghof und die verführerische Zeit- und Weltabgewandtheit zieht ihn derart in seinen Bann, dass er die Abreise immer wieder aufschiebt und so aus Wochen Monate und aus Monaten sieben Jahre werden, in denen die, Zeit- und Alltag ausklammernde, Monotonie der horizontalen Lebensweise zwischen Fiebermessen, Liegekur, Röntgen und Speisesaal ihm bald als die für ihn einzig passende erscheint...

Regie Frank Hoffmann
Mit Jacqueline Macaulay, Marc Baum, Ulrich Gebauer, Wolfram Koch, Marco Lorenzini, Maik Solbach

Einführung 19:15 Uhr

 

Gefördert von:

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Nach(t)kritik
Der Liegende Holländer
Nach(t)kritik von Thomas Lochte

Wenn es um deutschsprachiges Theater geht, stellen sich drei Fragen immer wieder neu: 1. Ist Werktreue angebracht oder dramaturgische Freiheit vorzuziehen – vulgo Regietheater? 2. Soll man der Gravitas eines Autors, wenn es sich zum Beispiel um Thomas Mann handelt, ein wenig inszenatorische Leichtigkeit beimengen, um diesen neu zu popularisieren? 3. Ist Verdichtung komplexer Stoffe zum Zwecke süffiger Theater-Kompaktheit immer bekömmlich?

Im Falle des „Théâtre Du Luxembourg“ und  seiner 2020 von Florian Hirsch erarbeiteten Fassung des Jahrhundertromans „Zauberberg“ muss man leider sagen: dreimal Nein! In der Einführung zum Stück hatte Schauspieler Maik Solbach (der selbst auch noch mehrere Rollen übernahm) noch appetitanregend davon gesprochen, dass man Thomas Manns Opus magnum als zeitlose Parallele zur Jetzt-Zeit erkannt habe – hier, im 1924 veröffentlichten Werk Manns (das ursprünglich eine „kleine Novelle“ abgeben sollte und sich nach dem Ersten Weltkrieg zu 1.000-Seiten „Zauberberg“ auswuchs), würden die großen Weltfragen verhandelt, die sich auch heute wieder stellten, so Solbach. Das umfangreiche Personal der Romanvorlage, also die Insassen eines Davoser Lungensanatoriums, liefere gleichsam ein Stellvertreter-Wimmelbild für Europäer des frühen 20.Jahrhunderts – dekadent, verwirrt, überkommen, kränklich, dem Untergang geweiht. Dieses Ausgangsmaterial hatte sich das „Théâtre“ aber auch deshalb zur Vorlage genommen, weil man im Lockdown und der damit häufig verbundenen Isolation der letzten Jahre eine artverwandte Situation zur hermetischen, kammerspielartigen Lage der Mann´schen Lungenkranken auf dem Berg sehen wollte: Der vom Rest der Welt abgeschiedene Mensch in seiner ganzen Geworfenheit also?

Die unter der Regie von Frank Hoffmann entstandene, zirka zweistündige "Zauberberg"-Version löst dieses Versprechen schlichtweg nicht ein, sie biegt stattdessen recht zügig ins leicht chaotische Entertainment ab: Da werden zwischen den Figuren zwar noch Originalsätze ausgetauscht, die Thomas Mann vor knapp hundert Jahren wichtig gewesen sein dürften („Wir Europäer haben keine Zeit!“), doch übertüncht bald schon purer Aktionismus auf der Bühne die Kraft des Geschriebenen. Da wird Polonaise getanzt, weil im Sanatorium gerade Fasching ist, da wird gesungen und gesoffen, wie es im Buche steht, aber das Vordergründige verdrängt damit die eher hintergründige Bestandsaufnahme des Menschseins, wie Thomas Mann sie durchaus mit Humor ausbreitete, weitestgehend.

Die Geschichte des Hamburger Ingenieurs Hans Castorp (sehr gut, aber zu alt für die Jungspund-Rolle: Wolfram Koch), der im Schweizer Sanatorium eigentlich nur seinen wirklich kranken Vetter Joachim Ziemßen (überzeugend blass: Marc Baum) besuchen wollte, dann aber Gefallen am ärztlich betreuten Nichtstun findet und sieben Jahre bleibt, sie wäre im Grunde auch eine Parabel auf bürgerliche Indifferenz im Angesicht des „draußen“ heraufziehenden Ersten Weltkrieges. Bei Hoffmann verschwimmen solche Konturen hingegen zu Gunsten der, nun ja, bemüht komischen Note. Castorps Mitinsassen sind bizarre Stichwortgeber, nicht mehr - Medizinal-Hofrat Dr.Behrens (Ralf Mautz) und  die ausschließlich Französisch parlierende Oligarchen-Gattin Clawdia Chauchat (Jacquelie Macauley): eher Dr. Sauerbruch-Karikaturen bzw. klischeehaftes Lustobjekt als ernste Welt-Erörterer; für die Figuren Albin und Karoline Stöhr (beide verkörpert von Maik Solbach) bleibt in der reduzierten Theaterform kaum Platz, um sie wirklich zu verstehen. Einzig der „Erzähler“ Lodovico Settembrini (Ulrich Gebauer) bringt ein wenig Ordnung und Klarheit ins wirre Bühnen-Geschehen. Und der „liegende Holländer“ Mynheer Peeperkorn, den Marco Lorenzini wirklich mit Heesterscher Inbrunst hinlegt („De Ontergang van de Welt – erledicht!“) ist leider auch bald im Jenseits.

Was unterm Strich blieb von dieser Mann-Adaption, war der Satz, den ausgerechnet Madame Chauchat spricht, als sie Hans vergebens zum Aufbruch mahnt, ehe sie selber geht: „Die Zeit ist ein gieriger Hund.“ Als Epilog dann noch Leo Ferrés bewegendes Avec le temps tout s´en va, womöglich ein letzter geretteter Gedanke Thomas Manns, vielleicht aber auch eine weitere Banalität: Mit der Zeit vergeht alles. Ja, ja.

Galerie
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So, 04.12.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.