Zwischendurch kann sich Thilo Kreitmeier einen bairisch-portugiesischen Kalauer nicht verkneifen, und der geht so: „Is des a finado?“ - „Naa, aber da Corco waar do!“ Der kleine Scherz spielt auf die beiden Stücke „Desafinado“ und „Corcovado“ von Carlos Jobim an, die Kreitmeier und seine Musiker an diesem Bosco-Abend ebenfalls im Repertoire hatten. Dass „Desafinado“ auf Deutsch so viel wie „verstimmt“ heißt, soll an Jobims Komposition aus den sechziger Jahren gelegen haben, die von manchen als nicht genügend harmonisch bekrittelt wurde: Vermutlich war die Sache aber ganz anders und das Stück umschreibt nichts anderes als eine seelische Unwucht, wie Kreitmeiers Interpretation auf dem Saxophon sie sehr schön herausarbeitete. Gut so, denn das restlos ausverkaufte Konzert war spürbar mit großen Erwartungen verbunden – der gebürtige Schwabinger Kreitmeier ist ebenso eine international bekannte wie regional verwurzelte Größe, der bald 50-Jährige hat mit fast dem kompletten Who-is-who der europäischen Jazz- und Blues-Szene zusammengespielt und auch schon im Bosco in verfschiedensten Formationen und Stilrichtungen begeistert. Seine neueste CD „Mas que nada“ - Kreitmeier übersetzt den Titel selber mit „Was soll´s?“ - ist nun eine Liebeserklärung an den Anfang der 60er in Brasilien aufgekommenen Bossa Nova, genauer gesagt an jene Spielart aus Rio de Janeiro, die das unverwüstliche „Girl from Ipanema“ hervorbrachte: Sängerin Sophie Wegener serviert den Evergreen mit dem wohl berühmtesten Schmacht-Seufzer der Musikgeschichte, als wäre sie selber am Strand aufgewachsen, der Jobim einst inspirierte – ihr „brasilianisches“ Portugiesisch fand jedenfalls anerkennende Zustimmung von Muttersprachlern im Publikum, und singen konnte sie auch noch ganz hervorragend!
Thilo Kreitmeier, seinem Pianisten Daniel Eppinger, dem Drummer Stephan Eppinger und dem Kontrabassisten Manolo Diaz bekam die erfrischende weibliche Stimme hörbar gut, denn sonst wäre die „Männerwirtschaft“ an diesem Abend womöglich in technisch keimfreier Nabelschau verhaftet geblieben: Zu beanstanden gab es ja auch im Grunde nichts, jeder Musiker war auf der Anforderungshöhe dessen, was auf den Notenblättern stand – und doch fehlte, zumindest bis zum aufmunternden Erscheinen Sophie Wegeners, ein wenig der lässige Schlenker, der Groove - das, was eben nicht auf dem Papier steht. Samba & Bossa Nova verlangen etwas ungeheuer Schweres von den Interpreten: Sie sollen komplexe Klavier- und Saxophon-Linien meistern und zugleich „leichtfüßig“ spielen, den Kopf zu Gunsten des Gefühls ausschalten – für Europäer manchmal eine allzu hohe Hürde. Um richtig verstanden zu werden: Kreitmeiers „Mas que nada“-Projekt ist gewiss auf diesem hohen Niveau unterwegs (auch live), doch es vermochte das Angestrengt-Akademische zumindest an diesem Abend nicht gänzlich abzustreifen. Der Meister selbst, ein bekennender Perfektionist, wirkte irgendwie unzufrieden, nicht nur mit seiner Querflöte. Dabei hätte er allein wegen seiner Glanznummer „Stardust“ gegen Ende noch versöhnt sein dürfen mit sich und der Welt. Die wirklich großartigen Einzel-könner um ihn herum, sie wurden ein wenig „verschenkt“, trotz der obligatorischen Solo-Passagen: Der Funke sprang „mannschaftsmäßig“ nicht so recht über.
Man darf „Mas que nada“ (zugleich Titel eines berühmten Songs von Ben Jor) als Kokettieren deuten, man kann es auch mit „Was soll´s?“ übersetzen, aber vielleicht passt ja ein „Immerhin“ am besten: Es war ja auf alle Fälle ein heftig bejubeltes Konzert, bei dem nur der Zauber fehlte.