Eigentlich sei er vor allem aus Faulheit Lyriker geworden, sagt Thomas Gsella, ein Gedicht sei nun mal schneller geschrieben als ein Prosastück. Vielleicht aber ist es auch ein Akt der Rache aufgrund einer in Mecklenburg-Vorpommern entwickelten Lyrikphobie: dort zählte der Ex-Titanic-Chef zur Hauptjury für den Rostocker Lyrikpreis, und was er da zu lesen und zu jurieren hatte, war nicht wirklich geeignet, sich einen Reim darauf zu machen oder es auch reimlos über die Zeile zu brechen – Schwurbellyrik eben.
Gsellas Gedichte sind das Gegenteil, sind weder kryptisch noch hermetisch, sondern weit offen, bitterböse und eindeutig auf den Punkt gebracht. Manchem ist die Eindeutigkeit (oder auch das Bitterböse) eindeutig zu viel, so dass auch an diesem Abend die bar rosso nach der Pause etwas lichter zu sein scheint. Nicht jeder teilt eben des Dichters Vorliebe für schwarzen Humor. Titanicfans jedoch und Freunde gut gespitzter Bleistifte kamen voll und ganz auf ihre Kosten, auch wenn der Titel „Vom Flugzeug der Hölle ins Tretboot des Grauens“ nicht unbedingt dazu angetan war, glasklare Satire angeboten zu bekommen.
Ein Reiseprogramm war angekündigt. Gedichte und Mini-Geschichten aus dem Reisegepäck des Abenteurers, der mal als Lesereisender mit den eigenen Büchern, mal als Mitglied der tourenden „Titanic-Boygroup“ unterwegs in Deutschland ist, zählten ebenso dazu wie Erinnerungen an private und Familienreisen. Zu Beginn gab es ein lyrisches Ranking der Best-of-Horrors-Orte in deutschen Landen, angefangen bei Bielefeld (was die Verfasserin dieser Zeilen mit der einen in ihrer Brust wohnenden Alter-Markt-und-Sparrenburg-Seele so gar nicht nachvollziehen mag) über Kassel („Den Winter über darben sie bei Pommes und Polenta, im Sommer fallen Spinner ein und machen Documenta“) bis nach Frankfurt, wo „jeder Duck sich Mäuser“ hält bis zu Platz eins: Gauting.
Frankfurt ist auf der persönlichen Landkarte von Thomas Gsella das Nest jener Spezies, die ihm besonders verhasst ist: die Banker. „So viele Hälse mit Arsch obendrauf findest du nirgendwo anders“, konsultiert er und erinnert sich, dass diese Abneigung aus einer Sozialisation in den Siebzigern resultiert, wo die Welt noch einfach und zweigeteilt war in die Guten und die Arschlöcher, die Kriegsdienstverweigerer und die Mitmacher, die VW-Käfer-Fahrer und die Golf-Kinder. Dies belegt auch eindrucksvoll die Erinnerung an die Fahrprüfung, die damit endete, dass der Prüfling – der zur Beruhigung der Nerven etwas zu viel vom guten Gras konsumiert hatte - in voller Fahrt vier parkende VW-Golfs touchierte.
Ein Reiseprogramm bietet aber weit mehr als die Auflistung versammelter Trostlosigkeiten in deutscher Stadtarchitektur. Immer mehr steigerte es sich in eine Topographie des Grauens, beispielsweise wenn Gsella das Plakat des Schweriner Zoos bedichtet, auf welchem die Stadt zu den Afrikanischen Tagen in den Zoo einlädt: über der Abbildung von vier trommelnden Schwarzen steht der Slogan „…mal andere Gesichter sehen“ – eine Steilvorlage für den Satiriker. Dagegen war die Geschichte von der Männerfahrt nach Italien im ausrangierten Leichenwagen fast schon eine Gute-Nacht-Geschichte.
„Vom Flugzeug der Hölle ins Tretboot des Grauens“ war eine Tour de fou, ein Höllenritt durch finstere Seelenlandschaften, ein Abend des schwarzen Humors und gewiss nichts für akut von Reisekrankheit Gefährdete.