„Ich hatte Albträume, dass ich in die Schule muss, um das Abi nachzuholen“: Als „Überraschungsgast“ war dieses Mal Meistergeigerin Lena Neudauer zum “Tee bei Sabine.“ Mit erstaunlicher Offenheit erklärte die 31 Jahre junge Violin-Professorin, die sich bereits im zarten Alter von 15 Jahren den renommierten Leopold-Mozart- Preis erspielt hatte, warum sie trotzdem kein „Wunderkind“ war.
Heillos überfüllt war die bar rosso: Auch die Alt-Bürgermeister Brigitte Servatius und Ekkehard Knobloch saßen im Publikum. Denn Lena Neudauer ist in Gauting aufgewachsen – und Klinge-Kulturpreisträgerin 2000.
So ungewöhnlich wie die Geigerin selbst, ist auch ihr Mitbringsel: Zum „Tee“-Gespräch mit Moderatorin Sabine Zaplin hatte Lena Neudauer eine ganz besondere Tasse mitgebracht. Das Keramik-Gefäß mit den Dellen und rätselhaften Schriftzügen hatte die Musikerin am Rande eines Bach-Solo-Konzerts mit japanischer Tänzerin erworben – beim verbotenen nächtlichen Spaziergang über einen Fischmarkt in Tokio. Der Kauf war Ergebnis einer dreitägigen Japan-Tournee mit Jetlag.
Zurück geht die Reise nach Gauting: Schon ihre Jugend verbrachte Lena Neudauer in der Würmtalgemeinde. Heute lebt sie wieder mit ihren beiden Kindern und dem Ehemann, einem Kontrabassist, in Gauting.
Wenn die Meistergeigerin freihändig fahrende Schüler mitten auf der Straße entdeckt, fühlt sie sich erinnert – an sich selber: Ohne ihre Geige, glaubt die Musikerin, wäre sie nämlich schon als Jugendliche „in wilden Bahnen“ gelandet. Schon als Dreijährige begann Lena Neudauer mit dem Violinspiel. „Doch ich habe viel daran gearbeitet. Wenn meine Mutter nicht täglich mit mir geübt hätte, wäre das nichts geworden“, sagt die heutige Violin-Professorin ehrlich.
Mit gerade mal elf Jahren war die Gautinger Gymnasiastin dann bereits Jungstudentin in der Klasse von Helmut Zehetmair am Mozarteum Salzburg. Als 15Jährige erspielt sich die Geigerin den renommierten Leopold-Mozart-Preis. Internationale Konzert-Auftritte folgten: „Ich war kaum noch an der Schule.“
Doch ein Jahr Französisch „konnte ich nicht nachholen.“ Die Gautingerin wechselte deshalb ans Max-Josef-Gymnasium München – „mit Musik als Hauptfach. „Da war die Eins im Zeugnis gesichert.“ Dass sie „nur“ mit mittlerer Reife abschloss, hat die Geigerin „nie bereut“, denn: „Jetzt bin ich Professorin an der Musikhochschule Saarbrücken – auch ohne Abi“, sagt die mit dem Europäischen Kulturförderpreis geadelte Solistin.
Lena Neudauer spielt nachdenklich an ihrem langen glatten Haar: Als Teenager verweigerte sich die hochtalentierte Geigerin dem Klassikmarkt: „Smalltalk und Pokerface mit Dauerlächeln fielen mir extrem schwer“, denn: „Ich sehe Musik nicht als Ware.“ Die Violinistin spielte in dieser Phase auch in einer Rockband.
Doch ohne die Spielregeln einzuhalten, als Konzertgeigerin die Lippen für den Auftritt „röter zu schminken“ oder die vorgesehene Abendrobe zu tragen, gebe es eben keine Karriere als Berufsmusiker, erinnert Lena Neudauer an das „Extrembeispiel David Garrett.“
Der aktuelle Klassik-Markt-Trend? „Laut schnell und nicht so differenziert spielen“: So formuliert es die Violinistin, die in der hiesigen Schlosspark-Remise schon mit unglaublichem Ausdruck und ergreifender Tiefe Schumann interpretierte, „ganz böse.“
Gespannte Stille in der bar rosso: Lena Neudauer erzählt von ihrer „Guadagnini.“ Sie erhielt das kostbare, über ein Viertel Jahrhundert alte Instrument zunächst als Leihgabe. Der Assistent ihres einstigen Salzburger Hochschul-Professors Helmut Zehetmaier hatte „das Juwel“ der Witwe eines Stuttgarter Geigenhändlers gewissermaßen aus dem Kreuz geleiert. Doch als ihr die wertvolle Guadagnini aus dem Safe präsentiert wurde, „war ich erschrocken“, blickt Lena Neudauer zurück. Mit dem sehr breiten, eher länglichen Corpus fand sie die Geige „viel zu groß.“ Trotz schönem Holz wirke das Instrument mit dem dunklen Bratschen- oder gar Cello-Klang wie „eine Wüstenlandschaft in der Abendsonne.“ Die begnadete Violinistin spielt die Guadagnini mit ihrem intimen Klang trotzdem seit ihrem 16, Lebensjahr: Für alte Musik mit Hammerflügel „ist die Geige mit Darmsaiten perfekt.“ Lena Neudauer ist eben eine radikale Puristin. Eine ganz große. Trotz ihrer Liebe zur „überirdischen Musik“ Mozarts, die man „nicht in Worte fassen kann“ - und zu ihren beiden Kindern. Wie sie das alles stemmt? „Leichter wäre es ohne Kinder, aber nicht so schön“, bekennt die Preis gekrönte Violinistin.
Christine Cless-Wesle