Die bosco-Spielzeiteröffnung 2021/2022 stand nicht zufällig unter dem Motto „Hoffnung, Aufbruch und Dialog“, und es war auch alles andere als Beliebigkeit, dass man das in Gauting beheimatete „Zebra Stelzentheater“ zum Auftakt gleich zu einer Premiere gebeten hatte: Das bosco-Team ebenso wie das vor 34 Jahren von Rolf Kassalicky gegründete Straßentheater haben bis heute mit den Folgen der Corona-Pandemie und den damit einher gehenden Beschränkungen zu kämpfen – wobei nicht nur konkrete Existenz-Dinge zum Thema wurden, sondern auch die Frage nach dem Stellenwert von Kultur insgesamt als etwas Systemrelevantem. „Die Idee für das Phönix-Projekt kam nach dem ersten Lockdown“, erzählt Kassalicky am Samstagnachmittag bei frühherbstlich schönem Wetter vor dem bosco. Dort wo üblicherweise Autos parken, hat man schon gleich mal den ersten Paradigmenwechsel vorgenommen – Theaterspielfläche statt Stellplätze. Zur Premiere von „Phönix“ sind knapp 100 Leute gekommen, darunter auch viele Kinder, die es kaum erwarten können, den mythischen bunten Vogel fliegen zu sehen.
Doch ehe der sich symbolisch aus der Asche erhebt, an den Federn versehen mit vielen eingesammelten und aufgeschriebenen Wünschen für eine bessere Zukunft, plaudert Kassalicky noch ein wenig über die gerade durchschrittene nicht so schöne Zeit: „Das Bedürfnis, all der Unsicherheit, der Stagnation, Einsamkeit und Hilflosigkeit etwas entgegen zu setzen“, habe ihn inmitten der Pandemie und der damit verbundenen Quasi-Auftrittsverbote zu der symbolträchtigen „Phönix“-Inszenierung inspiriert. Der Name leite sich aus dem altgriechischen Wort für Purpur ab, erfahren die Zuschauer. Der Phönix sei „ein Sehnsuchtsbild der Menschen seit Anbeginn, ein Urbild“. Man sagt, dieser Vogel mache sich alle 500 Jahre auf, um von Arabien aus gen Westen zu ziehen, der Sonne zu, um dort zu verbrennen und sich nach drei Tagen neu zu erheben – eine kraftvolle, zeitlos-zyklische Metapher vom Werden und Vergehen.
Für das „Zebra Stelzentheater“ muss diese Metapher zwischendurch ziemlich handfest geworden sein: Man habe Fördermittel aus dem Fonds für Darstellende Kunst („FoDaKu“) beantragt, berichtet Kassalicky, aber erst beim zweiten Anlauf sei die Unterstützung geflossen, da die Fördermittel begrenzt waren. Bange Zeiten dürften das für die Zukunft des Straßentheaters gewesen sein, doch man ließ sich nicht entmutigen: Die von Stefan Fichert entworfenen und bis zur Seebühne Bregenz bekannt gewordenen Einhörner der ebenfalls in Gauting beheimateten „Puppetplayers“ hätten ihn auf die Idee gebracht, für den „Phönix“ mit den Puppenspielern zusammenzuarbeiten, und nach einiger Zeit sei dann dieses „Geflecht aus fünf Meter langen Rattan-Stangen“ dabei herausgekommen: Stelzen plus Figuren = „Phönix“.
Und dieser erhob sich dann vor dem staunenden Outdoor-Publikum des bosco irgendwann zu seiner vollen Größe und Farbenpracht und setzte sich in Bewegung, den Aufbruch zu hoffentlich besseren Zeiten auf den Schwingen tragend. Mitspieler Alex auf 1,80 Meter hohen Stelzen in der Mitte, zwei Kollegen die sich ausbreitenden Flügel mit Stangen stützend. Lockerungsübungen und ein echter Countdown gingen dem Spektakel voraus, und „Zebra“-Moderatorin Judith sammelte letzte Wünsche ein, die man dem „Phönix“ mit auf seinen staksenden Weg geben konnte: Genannt (und aufgeschrieben) wurden u.a. „Lebensfreude“, „Versöhnung“, „Mehr Humor“, „eine gesunde Umwelt“, „Frieden für alle“ und sogar „weniger Hausaufgaben“. Weitere Wünsche hatte das „Zebra Stelzentheater“ schon im Internet (www.zebra-stelzen.de) und bei einem Zug durch Gauting sozusagen „aufgepickt“. Und derart beladen mit Wünschen und Erneuerungssehnsüchten machte sich der mythische Vogel auf den Weg über den umgewidmeten Parkplatz und die umgebenden Grünflächen. Ein kleines Spektakel der Hoffnung, für viele Menschen vielleicht notwendig, um überhaupt weitermachen zu können. Die Zeiten, sie können nur besser werden. Sie müssen es, nicht nur in der Kultur.