Nach(t)kritik
Ach, hätte doch Theseus schon Tinder gehabt…
Veranstaltung: Rufus Beck mit Anna und Ines Walachowski: "Sommernachtstraum"„Ein Jüngling liebt ein Mädchen, die hat einen andern erwählt…“, mit diesem kurzen Intermezzo von Heinrich Heine eröffnet Rufus Beck den Abend vor einem ausverkauften Saal und führt damit sofort in die auch dem Sommernachtstraum zugrundeliegende, zeitlose Geschichte von erfüllter und unerfüllter Liebe ein. Der Sommernachtstraum, so Rufus Beck, sei doch Shakespeares schönste Komödie, jedoch leider so unglaublich kompliziert. Das Werk etwas zu entwirren sei also sein Plan an diesem Abend, so dass am Schluss im Publikum alle sagen können „jetzt habe ich das Stück kapiert“.
Unterstützt wird Rufus Beck bei diesem Vorhaben vom Klavierduo Anna und Ines Walachowski, die vierhändig virtuos die von Felix Mendelssohn Bartholdy für das Werk komponierte Schauspielmusik darbieten. Mal ganz geheimnisvoll und verzaubert, mal freudig und beschwingt untermalen die beiden Schwestern mit der Musik die Handlung des Shakespeare-Werkes und erschaffen stimmungsvolle Bilder in den Köpfen der Zuhörenden. Dabei rennen ihre vier Hände über die Tasten und lassen die komplizierten Läufe beeindruckend einfach erscheinen.
Wofür man sonst ein ganzes Ensemble beschäftigen könnte, schafft der Stimmakrobat Rufus Beck ohne Umstände allein, indem er den zahlreichen Figuren Shakespeares so eindeutige Stimmen verleiht, dass man sich ohne Probleme zurechtfinden kann. Lysander wird zum sich fügenden Partner, wenn er ohne Widerspruch seiner geliebten Hermia immer mit einem kurzen „Tja“, „Oh“ oder „Ui“ zustimmt, der cholerische Demetrius schreit und sieht sich ohnehin von allen hintergangen, die sich in ihrem eigenen Leid suhlende Helena bekommt einen bayerischen Dialekt verpasst und Oberon, der Elfenkönig, unterbricht mit seiner tiefen und ruhigen Stimme die so aufgeregt durcheinander redenden Anderen und möchte einfach mal wieder Stille in seinem Wald herrschen haben. Die einzige Requisite die Beck benutzt ist eine runde Sonnenbrille, mit der Puck auftritt, der durchtriebene Kobold und Helfer Oberons.
In seiner Neuinterpretation des Schauspielklassikers vermischt Rufus Beck gekonnt Passagen des originalen Textes mit moderner Sprache, verworrene Zusammenhänge innerhalb der vier Handlungsebenen des Stückes werden entknotet und mit Beispielen aus der heutigen Zeit bebildert und erklärt - wenn die Figuren heimtückisch sich Ideen klauen wird hier „zuguttenbergt und schavant“, wenn es Streit und Unglück in der Liebe zwischen den Protagonist*innen gibt, wird dies mit der heutigen Partner*innensuche auf Tinder verglichen. Rufus Beck brilliert in allen Rollen, besonders aber wenn es um die Schauspielgruppe der Handwerker rund um Zettel, Flaut und Schnauz geht. Seine Mischung aus Stand-Up-Programm, ironischer Interpretation und szenischer Lesung des allgemein bekannten Werkes Shakespeares lassen einen neu über die Irrungen und Wirkungen der Charaktere im Sommernachtstraum nachdenken, lachen und mitfiebern.
Zwischen den einzelnen Szenen wird Rufus Beck immer wieder von der musikalischen Darbietung von Anna und Ines Walachowski begleitet, was das ohnehin kurzweilige Programm auflockert und untermalt. Dann setzt sich Rufus Beck auf seinen Barhocker und lässt sich ebenfalls von der Musik in ihren Bann ziehen. Irgendwann kommen Musik und Text auch zusammen, gehen ineinander über und bestärken sich gegenseitig - das Werk Shakespeares wird zum Live-Hörspiel. Am Ende des Abends hat man das Gefühl, wirklich wieder etwas mehr über den Sommernachtstraum und seine Figuren verstanden zu haben, ja vielleicht hat man das Stück jetzt sogar kapiert.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.