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Nach(t)kritik

Fr, 02.02.2024
20.00 Uhr

Albtraum oder Utopie

Veranstaltung: Kurzfilmabend zum Themenschwerpunkt: "Mensch - Architektur - Natur" mit der Internationalen Kurzfilmwoche Regensburg

Ja freilich sind auch vierzehn Einheiten möglich. Oder sogar mehr, warum denn nicht? Es fügt sich schließlich gut in die Landschaft, sagt die Architektin in Oliver Gilchs „Am Acker“. Immer wieder zeigen Schnitte in die Supertotale die leere Landschaft, die von der rührigen Frau baulich erschlossen werden soll. Der Film führt ins Thema ein: Es ist den Handelnden durchaus klar, dass das menschliche Tun Auswirkungen auf die Landschaft hat, und sich eigentlich in sie einfügen soll, das Ergebnis wird allerdings wohl eher den Boden versiegeln zugunsten eines sterilen Wohnkomplexes. So traurig es klingt, der Film übersetzt dies in einen hochnotkomischen Monolog der Architektin, was zu spontanen Lachanfällen im Publikum und Applaus führt – und präsentiert damit eine Möglichkeit, die Frage anzugehen, wie Bebauung das Wesen der Erde prägt, im Großen wie im Kleinen. Es ist eine von sieben Möglichkeiten, die das Bosco in Kooperation mit der Internationalen Kurzfilmwoche Regensburg präsentiert.

Der relativ junge Begriff „Anthropozän“, der eine neue geologische Ära bezeichnet, in der die Erde in ihrer Substanz vom Menschen verändert wird, zwingt dazu, eine bequeme Gegenüberstellung aufzugeben: Mensch und Natur sind nicht mehr getrennt zu denken, sondern in einer dynamischen Beziehung. Man ist sich gegenseitig ausgeliefert. Der Architektur kommt in dieser Beziehung eine besondere Rolle zu. Sie steht in der Natur – die sie ausnutzt – muss sich aber zur selben Zeit vor dieser Natur schützen, zu sehen in den beeindruckenden Bildern von „Le Plateau“ der französischen Regisseurin Inès Elichondoborde, auf halbem Weg zwischen Dokumentation und Fiktion. Ein gestorbenes Bauprojekt im kambodschanischen Dschungel wird von einem einsamen Immobilienagenten bewacht, der sich vorstellt, wie er vielleicht doch einmal Kunden durch die halbfertigen Villen führen darf. Diese werden inzwischen von Moos überwuchert, der Beton erodiert, weil die Rodung des Waldes zu gesteigerten Regenfällen führt.

Der Erzähler hat sich die Ruinen zum Heim gemacht, weil ihm nichts anderes übrig blieb. Ähnliches verhandelt der Kurzdokumentarfilm „In Between“ von Samir Karahoda. Er erzählt in bestechend einfacher Filmsprache von den Vätern im ländlichen Kosovo, die ihren Söhnen identische Häuser bauen, damit diese eine Bleibe haben, sollten sie jemals in die Heimat zurückkehren. Denn die Söhne arbeiten aus wirtschaftlicher Notwendigkeit in Deutschland, in der Schweiz, überall, nur nicht da, wo ihnen ein Haus gebaut wurde. Anders als diese hat der alt gewordene Schafhirte Jesús in Manuel Omontes „Pasando Teruel“ sein Dorf nie verlassen. Seine spanische Heimatregion gehört zu den am dünnsten besiedelten Gebieten der Welt, weshalb ein chilenischer Fotograf sich dafür interessiert. Er trifft Jesús, woraufhin sich ein Road Movie en miniature entspinnt, eine Reise durch die Vergangenheit Spaniens und durch die Gegenwart einer vergessenen Region. In zwanzig Minuten gelingt es Omonte, beträchtliches Mitgefühl für seinen Protagonisten zu erzeugen, gerade weil er sich nicht beklagt, im Niemandsland aufgewachsen zu sein. Wenn er aber am Ende den Weg zum Flughafen findet, ist ein Gefühl des anteilnehmenden Glücks nicht zu unterdrücken.

Auch experimentellere Filme sind im Programm. „Urban Sphinx“ von María Lorenzo und „Sirens“ von Ilaria di Carlo könnten unterschiedlicher aber nicht sein. Wo Lorenzo die urbane Kunst Valencias – Graffiti von Comic-Motiven, Frauen mit aufgerissenem Mund, treuen Hunden und immer wieder Augen – in einer kunstvollen Collage zeigt, fängt Di Carlo die Effekte der Industrialisierung in Bilder von brachialer Poesie ein. Gigantische Schaufelräder, die sich durch den Boden fressen; rote Rauchschwaden, die die Sonne verdunkeln; unwirklich erscheinende Kühltürme.

Einen „Rausschmeißer“ hatten Gabriel Fieger und Amrei Keul von der Internationalen Kurzfilmwoche Regensburg bereits angekündigt. Es war nicht zu viel versprochen. Gerhard Mentors „Benztown“ zeigt in surrealen Bildern, wie sich die Stadt gegen das menschengemachte Auto-Chaos wehrt. Stuttgarts Häuser erwachen zum Leben und würfeln Fahrzeuge durcheinander, ein Tunnel mampft einen PKW, rote Ampeln fegen Autos von der Straße. Dass man nach diesem Abend nicht weiß, ob es sich dabei um einen Albtraum handelt oder eine Utopie, ist als Erfolg zu werten: Sieben anregende Kurzfilme, in durchdachter Dramaturgie präsentiert.

Paul Schäufele, 03.02.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.