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Nach(t)kritik

Mi, 10.04.2024
20.00 Uhr

All you need is love

Veranstaltung: Lesung zur Ausstellung: "Liebesbriefe aus der Papierfabrik"

„Entschuldigen Sie, verehrte Damen, meinen gestrigen übereilten Brief, den ich in der Bahnhofspost geschrieben habe“, schreibt er an sie, die ihm gerade erst auf seine in der Süddeutschen Zeitung aufgegebene Kontaktanzeige geantwortet hat. „Ich bin Fräulein“, hat sie geschrieben und sie sei in Anstellung, der Herr könne sie besuchen in München, zu klingeln wäre an Tür 1 bei Hoffmann. Es ist das Jahr 1955, der Mann - Franz - lebt in Gauting und arbeitet als Kalanderführer in der dortigen Papierfabrik. Er ist schon über sechzig, lebt bei seiner Schwester, die ihn versorgt und die ihn mehr als einmal darauf hinweist, dass er sich doch verheiraten möge, damit jemand anderes ihr die Arbeit abnehmen kann „Jetzt suche ich eine Hausfrau“, schreibt Franz an Fini, jene Frau, die seine Kontaktanzeige gelesen hat. Es folgt ein beinahe zwei Jahre währender regelmäßiger Briefwechsel, in welchem der Gautinger Arbeiter sich als stilsicher und sogar poetisch erweist: mal verfasst er Gedichte für Fini, mal stellt er fest: „Weil ich eben Tee trinke, wünsche ich auch dir immer eine gute Brotzeit.“ Aber auch Fini, die Frau aus der Stadt, die selber vom Land stammt, verfügt über einen exzellenten Schreibstil.

In einem eigens innerhalb der aktuellen, großartigen Ausstellung zum Gautinger Alltag in den Fünfziger Jahren abgetrennten Auditorium geben Anna Veit und Gerd Holzheimer der sich langsam anbahnenden Gautinger Liebesgeschichte die Stimmen. So wird hör- und erlebbar, wie ein nicht mehr ganz junger Gautinger Arbeiter vor beinahe siebzig Jahren gelebt, gedacht, gefühlt hat und wie dies einer ledigen Münchnerin in ihren frühen Vierzigern ging. Da ist von den regelmäßigen Besuchen Finis in Gauting die Rede („Ich bin gestern gut mit der Bahn wieder heimgekommen“), aber auch von ihren Bedenken („Du bist aber doch viel älter als ich und in deinem Haus ist wenig Platz“). Da wird von Finis Reisen in die ländliche Heimat vor München erzählt und vom getrennt verbrachten Weihnachtsfest mit den jeweiligen Verwandten. Natürlich klingen immer wieder die damals fest in den Köpfen verankerten Rollenbilder an: er freut sich auf das Essen, das sie ihm kochen wird und berichtet, wie erleichtert und doch auch eifersüchtig seine Schwester die sich anbahnende Beziehung betrachtet; sie bittet ihn immer wieder, ihrethalber doch keine Umstände zu machen und mahnt ihn, bei der Arbeit auf sich zu achten.

Auffällig ist, dass hier zwei Menschen aus eher einfachen Verhältnissen ihre Wünsche, Ansichten und auch die Gefühle füreinander in ausgewählte, geschliffene Worte fassen können. Hier schreiben einander zwei Menschen, die das Schreiben als Kommunikationsweg gewohnt sind und regelmäßig betreiben. So ist diese Korrespondenz ein literarisches Kleinod, das gerade bei der großartigen, einfühlsamen Lesung von Anna Veit (die an geeigneten Stellen den einen oder anderen Liebes-Song aus den Fünfzigern von sich selbst am Kontrabass begleitet, zum Besten gibt) seinen Glanz entfalten kann.

Wunderbar ist auch die Geschichte, wie diese Briefe ans Licht der Öffentlichkeit kamen. Er habe sie bei einer Hausauflösung in einer einfachen Pappschachtel entdeckt, berichtet Hermann Geiger, aus dessen Sammlung sich die gesamte Ausstellung speist. Ein Blick auf den Inhalt der Schachtel ließ ihn aufmerken. So trug er den ganzen Karton zu Gerd Holzheimer, der sich seinerseits erinnert: „Es klingelte, ich gehe zur Tür, und da steht der Hermann Geiger, der mir statt eines Grüßgott erklärt, ich solle meinen Goethe wegschmeißen er habe da was Besseres für mich.“

Im Hause Holzheimer entwickelten die Briefe dann ihr Eigenleben. Inge Holzheimer nämlich begann, die in einer Sütterlin-ähnlichen alten Schrift gehaltenen Briefe einen nach dem anderen zu lesen. „Und so kamen die beiden zu uns ins Haus, in die Gegenwart“, erzählt Holzheimer, „mal erzählt mir die Inge: Du, heute hat er nichts zum Essen bekommen, und ein andermal erklärt sie: Heute war was zwischen denen.“ In mühevoller Arbeit hat Inge Holzheimer alle Briefe transskribiert und somit lesbar gemacht. Und Anna Veit und Gerd Holzheimer machten den Gautinger Franz und seine Braut lebendig.

Vielleicht wird ja ein Buch daraus. Das nächste Projekt einer Gautinger Literaturentdeckung jedenfalls steht schon aus: am Ende des Abends berichtete Hermann Geiger von einem ganz besonderen Fund. „Da war hinter einem kleinen baufälligen Häuschen, das ich ausgeräumt habe, ein Plumpsklo und in diesem, neben einem großen Strauß-Plakat, ein Nagel, an dem Hunderte l´Zettel hingen.“ Auf diesen hatte der Abort-Besucher akribisch und mit Datum notiert, was an diesem Tag im Ort geschehen ist und was er sich dabei gedacht hatte. Was für eine Entdeckung an einem wahrhaft kontemplativen Ort.

Sabine Zaplin, 11.04.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.