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Nach(t)kritik

Fr, 12.10.2018
20:00 Uhr

Am Ende eines langen Sommers

Veranstaltung: Die Badische Landesbühne: „Es wird schon nicht so schlimm!“ von Hans Schweikart

„Heute wissen wir es“ - so beginnt der Theaterabend, der die Geschichte einer Vernichtung erzählt. Heute wissen wir, die Zuschauer, die Nachgeborenen, auch die Schauspieler auf der Bühne, dass die wunderbare Wärme des Sommers und das strahlende Licht und das Gefühl von Unverletzbarkeit nur der trügerische Auftakt einer Verwandlung war, an deren Ende nichts, aber auch gar nichts mehr war wie zuvor. „Es wird schon nicht so schlimm!“, heißt das auf einer Erzählung von Hans Schweikart beruhende Theaterstück um zwei Schauspieler - sie Jüdin, er nicht jüdisch - , die sich, berauscht und leicht verwirrt von den Ferien am See, der eigenen Jugend, einem temperamentvollen anderen Mann (sie) und wütender Eifersucht (er) irgendwann in einer Ehe wiederfinden, die vor den neu geltenden Gesetzen keinen Bestand hat und an der sie in immer zaghafter werdendem Trotz festhalten, bis die grausam verwandelte Zeit sie zermalmt.

Carsten Ramm, langjähriger Intendant der Landesbühne Bruchsal, hat Schweikarts jahrzehntelang als verschollen geltendes Manuskript wiederentdeckt, vor vier Jahren als Buch veröffentlicht und im vergangenen Jahr mit den Schauspielern Colin Hausberg, Cornelia Heilmann, Markus Hennes, Tobias Kann, René Baier und Nadine Pape als Theaterstück herausgebracht. Es ist ein konzentriertes, stark episch geprägtes Kammerspiel, in dem die Schauspieler sich die Geschichte ihrer vorangegangenen Kollegen erzählend aneignen und dabei mal in die Rollen hineinsteigen, mal die Protagonisten aus der Distanz betrachten. Erinnerungsarbeit als Rollenspiel, als Spurensuche im eigenen Arbeitsumfeld.

Es ist zum einen dieses „Theater auf dem Theater“-Spiel, das die Geschichte so nah an die Gegenwart heranrückt und plausibel werden lässt, wo die Weggabelungen sich abzeichnen, die entweder in Richtung Rückgrat oder in Richtung Kopf-Einziehen weiterführen. Wenn der schon im harmlosen Urlaub am See auftauchende temperamentvolle Verlegersohn den Weg in Richtung Karriere nicht zuletzt deshalb einschlägt, um der Geliebten näher zu sein, die er später als Verantwortlicher im Umfeld des Propagandaministeriums ins Verderben schicken muss - und selbst dann noch behauptet, nur das Beste zu wollen, dann hätte es allein in seinem Fall gleich mehrere Möglichkeiten gegeben, anders abzubiegen.

Es ist aber vor allem eine Geschichte davon, wie erschreckend schnell sich ein Land verändern kann. Während die einen, noch trunken vom vergangenen Jahrhundertsommer, das nicht zu überhörende widerliche Gebrüll der selbst ernannten Alternative als nicht ernst zu nehmen ignorieren, spielen die anderen mit dem Feuer und lassen sich aus Protestgründen vor den falschen Karren spannen. „Es wird schon nicht so schlimm“ - dieser Satz steht wieder mal im Raum. Und es wird Zeit, mal wieder Erich Kästner zu lesen. „Ihr kommt daher und lasst die Seele kochen./Die Seele kocht, und die Vernunft erfriert./Ihr liebt das Leben erst, wenn ihr marschiert,/weil dann gesungen wird und nicht gesprochen.“ Das schrieb er im Jahr 1932. Heute wissen wir, wie es weiterging.

Sabine Zaplin, 12.10.2018


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.