Nach(t)kritik
And Supergirls just fly
Veranstaltung: Susanne Krauss & Ulla Wohlgeschaffen: Die legendäre GranniegangZum Beispiel Hilde. In ihrem Leben wurde die weit über Achtzigjährige immer wieder zu Unrecht für Dinge beschuldigt, schon als Kind.Zuletzt geriet sie in der Münchner S-Bahn in eine Fahrkartenkontrollen und konnte ihre Jahreskarte erst nach dem Ausstieg aus der Tasche holen. Dennoch beharrten die Kontrolleure auf einer Strafe wegen Schwarzfahrens, aber Hilde wehrte sich - mit Erfolg. „Mein Alter hält mich nicht davon ab, für meine Rechte zu kämpfen und gegen Willkür und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu protestieren.“
Oder Barbara, ähnlich alt wie Hilde. Sie hat die Kinder großgezogen, während der Mann beruflich viel auf Auslandsreisen war. Irgendwann wollte auch Barbara gern einmal ins Ausland reisen, doch ihr Mann hatte da schon genug gesehen von der Welt. Also suchte sie ich einen Job, sparte ihren Verdienst und machte sich allein auf den Weg. „Den Moment, als ich mit dem Koffer in der Hand die Haustür hinter mir zuzog und mich auf den Weg zum Flughafen machte, werde ich nie vergessen“, erzählt sie.
Barbara und Hilde sind Super-Grannies: sie sind mutig, längst im Rentenalter und zeigen sich im selbstgestrickten Superheldinnen-Look - zumindest auf den Bildern der am Mittwochabend im bosco eröffneten Fotoausstellung. Fotografin Susanne Krauss und Autorin Ulla Wohlgeschaffen haben jenen Frauen, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters so oft im Alltag übersehen werden, ein Gesicht und eine Stimme gegeben. „Grannie“ Barbara ist bei der Eröffnung sogar persönlich anwesend - in Zivil.
Schon lange hegte Susanne Krauss den Plan, ältere Frauen fotografisch als Superheldinnen zu inszenieren, doch alle, die sie ansprach, lehnten ab, sei es aus Bescheidenheit, Befangenheit oder weil sie sich dafür irgendwie zu alt fühlten. So experimentierte Susanne Krauss zunächst mit Künstlicher Intelligenz und startete auf Instagram ein Projekt, in dem sie unter dem Namen „Granniegang“ einen Club betagter Superheldinnen erfand. Die Reaktionen darauf waren gigantisch: „Innerhalb kürzester Zeit fand das Projekt mehr als 70.000 begeisterte Anhängerinnen und Anhänger“, berichtet sie bei der Eröffnung. Also wagte sie es, per Instagram noch einmal nach Freiwilligen jenseits der 65 zu suchen. Und nun fanden sich Mutige, die Lust hatten, einmal in das Superheldinnen-Kostüm zu schlüpfen - zumindest vor der Fotokamera. In der Journalistin Ulla Wohlgeschaffen fand Susanne Krauss eine begeisterte Mitstreiterin, die im Anschluss an die Fotosession mit den „Grannies“ ins Gespräch kam und sich den Superheldinnen-Moment in deren Leben erzählen ließ, um diesen dann komprimiert für die Texttafeln zu den Fotos in Worte zu fassen.
Und so schauen jetzt mal rebellische, mal schmunzelnde, mal abflugbereite ältere Frauen mit schwarzen Fledermauskappen oder schwarzen Heldinnen-Umhängen vor dunklem Hintergrund die Betrachterinnen und Betrachter der Ausstellung herausfordernd und sehr sichtbar an: „Da sind wir, und wir sind zu sehr vielem noch bereit“, scheinen sie zu sagen. Und in einer Zeit in der „Omas gegen Rechts“ auf die Straße gehen oder vor Gerichten für ihre Rechte in Zeiten des Klimawandels erfolgreich kämpfen, ist „Die legendäre Granniegang“ nötiger denn je.
Bis zum 16. Mai kann die Ausstellung zu den Öffnungszeiten des bosco betrachtet werden. Am Samstag, den 04. Mai gibt es eine kostenlose Führung, angeboten von der Fotografin selber. Hierfür ist eine Anmeldung erwünscht.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.