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Nach(t)kritik

Di, 08.12.2015
20.00 Uhr

Aus dem Rahmen gefallen

Veranstaltung: Bremer Shakespeare Company: Maria Stuart - nach Friedrich Schiller
Wer handelt, wenn wir handeln? Und wer trägt die Schuld, wenn wir schuldig werden? Elisabeth, Königin von England, sieht das Recht auf ihrer Seite, als sie die aus ihrem Land verjagte und zu ihr geflohene Maria Stuart in den Kerker werfen lässt. Dass sie schließlich auch deren Todesurteil unterzeichnet und damit rechtskräftig sein lässt, ist das Ergebnis und Interesse vieler falscher Freunde und Intriganten, nicht zuletzt Graf Leicesters – der Name, der unter dem Todesurteil steht, ist Elisabeths allein. Allein ist sie am Ende, die Widersacherin hat das moralische Recht auf ihrer Seite, alle anderen sind fort, Leicester „zu Schiff nach Frankreich“, und der Rahmen für Elisabeth ist viel zu eng, doch er ist alles, was ihr bleibt.
Mit „Maria Stuart“ nach Friedrich Schiller erzählt die Bremer Shakespeare Company in der Regie von Petra Janina Schultz eine Geschichte von der Unfreiheit politischen Handelns und von der möglichen Freiheit des menschlichen Willens. In einer auf die wesentlichen Szenen und Motive reduzierten Fassung agieren die vier Schauspieler – in bester Shakespeare-Tradition – in einem „Theater auf dem Theater“. Offene Rollenwechsel vorm Proszenium, wo Kostüme und Perücken auf Kleiderpuppen parat stehen, erzeugen eine größtmögliche Erzähldichte bei gleichzeitig straffem Tempo und unterstreichen die von Schiller dramaturgisch legitimierte Begrenztheit der (männlichen) Handlungsfreiheit:  Michael Meyer ist sowohl ein wendiger, schmeichlerischer Leicester als auch ein scheinbar loyaler Paulet. Markus Seuß zeigt einen leidenschaftlichen Mortimer und einen bürokratischen Burleigh. Ulrike Knospes Elisabeth ist durch die extrem hohen Absätze ihrer Schuhe zu einer umständlichen Größe verpflichtet, die sie wie auf Kothurnen schreiten lässt. Und Franziska Mencz lässt ihre Maria Stuart zwischen Leidenschaft und Stolz den Machtkampf bis zum Äußersten austragen. Alle vier Schauspieler halten den Spannungsbogen bis zum „Show-down“ hochkonzentriert und mit fast zirzensischer Spiellust.
Das Bühnenbild (Hanna Zimmermann) ist auf das Äußerste reduziert, so dass die wenigen Requisiten größtmögliche Bedeutsamkeit besitzen und vermitteln. Ein großer Bilderrahmen wird zum sicheren Hafen für Elisabeth, die sich darin zurückzieht und gleichzeitig öffentlich ausgestellt ist. Später versucht Maria, ob sie in diesem Rahmen existieren kann, verlässt ihn aber wieder – ihr rotes, Leidenschaft symbolisierendes Kleid sprengt diesen Rahmen. Eine Leiter bietet am Ende im eng umfassten Raum einen Fluchtweg, doch offensichtlich ist die Welt auf der anderen Seite der hohen Wand nur die Fortsetzung des Gefängnisses: Leicester gelingt es nur, Marias Kleid hinüberzuwerfen, und im selben Moment erinnert das Geräusch der herunterklappenden Sitzbank drinnen an das Fallbeil, das Marias Leben beendet – die Welt draußen ist ein Schafott, weiter nichts.
Höhepunkt des Dramas und dieser minimalistischen Fassung ist die Begegnung zwischen Elisabeth und Maria. Im eng umzirkelten Licht prallen hier zwei Lebensmodelle aufeinander, zwei Temperamente ringen miteinander: Elisabeths strenge, leicht melancholische Rechtschaffenheit und Marias empfindsam-temperamentvolle, beinahe cholerische Leidenschaft. Selbst die körperliche Abwesenheit Marias lässt all dies spüren im noch daliegenden körperlosen roten Kleid. Gerade diese Abwesenheit vor dem engen goldenen Rahmen ist das wohl stärkste Bild für die Freiheit, von der Schiller wieder und wieder erzählt. „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, heißt es in seiner Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“. Die Bremer Shakespeare Company hat überzeugende Theatermomente für diese These gefunden.
 
Sabine Zaplin, 08.12.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 08.12.2015 | © Werner Gruban