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Nach(t)kritik

Mi, 08.01.2020
19:00 Uhr

Bedecke deinen Himmel, Zeus

Veranstaltung: Tom Hegen: HABITAT – Vom Menschen geprägte Lebensräume

Das Schöne liegt nah am Schrecklichen: aus der Senkrechtperspektive richtet der Fotograf und Graphik-Designer Tom Hegen den Blick auf die von Menschenhand veränderte Erdoberfläche. In seiner gerade im bosco zu sehenden Ausstellung „HABITAT“ zeigen die Fotografien Landschaften, die von Menschen geprägt, gestaltet, zerstört wurden. Ein Staudamm. Ein Bergwerk. Eine Straße, die einen Wald zerteilt. Bäume, die wie ein Rechenschieber angeordnet sind. Schnurgerade Furchen in einem Feld. 

Die Fotografien sind zunächst für einen Bildband entstanden, der im Jahr 2018 erschien und im vergangenen Jahr mehrfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem German Design Award.

„Ich fotografiere senkrecht nach unten“, erläutert Hegen im Gespräch. Dazu lehnt er sich aus der geöffneten Tür eines Hubschraubers heraus oder setzt Drohnen ein. Wichtig ist der direkte, senkrechte Blick auf die sich unter dem Auge des Betrachters ausbreitende Fläche. So wird dieses auf besondere Weise gelenkt: auf die Schönheit der Gestaltung ebenso wie auf deren Schrecken, der ihr innewohnt. „Ich benutze das Schöne als Lockmittel“, sagt er.

Die Herkunft des jungen Künstlers ist deutlich sichtbar: Tom Hegen sucht in seinen Fotografien den Schulterschluss mit dem Herangehend des Gestalters, er überträgt die Prinzipien des Graphik-Designs auf den Bildaufbau. Rechte Winkel werden eingehalten, Gestaltungsparameter befolgt, Kompositionsregeln angewendet. Das Ergebnis ist ein aufgeräumt wirkendes, nahezu abstraktes Bild, das bei Besuchern schon mal den Eindruck erzeugt, hier sei vielmehr mit dem Farbstift oder der Kreide gearbeitet worden als mit der Kamera.

Gerade durch das Aufgeräumte, Abstrakte wird der Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen. Hier ist noch keine Wertung vermittelt, kein Urteil gefällt worden. Zunächst ist nichts anderes zu sehen als eine eindeutig gestaltete Fläche, die in ihrer Besonderheit als schön anmutet. Erst im Dechiffrieren des Motivs zieht der Betrachter die Parallelen zu eigenen Erfahrungen, entdeckt beispielsweise im Muster des Feldes die eigenen Ernährungsgewohnheiten, im Wahrnehmen der Abbauhalde die Energieproblematik.

„Die Götterperspektive einnehmen“, nennt Tom Hegen seinen besonderen Blick. Das ist beinahe ein Schlüsselbegriff: die Krise der Menschheit ist schon früh erzählt worden in der Prometheus-Sage. Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl, um selber gestalten zu können, wird dafür mit ewig währendem Leid bestraft. Ein Gegenkonzept könnte Demut sein - gegenüber einer Erde, die einem ganz anderen Gestaltungskonzept folgt als dem mathematisch geprägten des Menschen.

Sabine Zaplin, 09.01.2020


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 08.01.2020 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.