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Nach(t)kritik

So, 13.01.2019
20.00 Uhr

Berauschende Höhenflüge

Veranstaltung: Quatuor Hermès & Quatuor Ardeo: Enescu und Mendelssohn
Ein Oktett ist irgendwie doch mehr als nur zwei Quartette, die miteinander Kammermusik machen. Und in diesen zwei Werken sowieso, hatten doch beide Komponisten mit dieser Besetzung offenbar vielmehr ein kleines Streichorchester im Sinn. Beim rumänischen Komponisten George Enescu ist diese Erklärung aber immer noch unzureichend, denn es gab hier Passagen, in denen jede/r MitspielerIn eine eigene Stimme bekam, was im Streichorchester wohl eher selten der Fall ist. Ein ganz schönes Durcheinander kann es da geben. Dass hier im bosco Enescus Streichoktett C-Dur op. 7 von 1900 dennoch transparent blieb, ist vor allem der bereits längeren Zusammenarbeit der beiden Ensembles zu verdanken, die es hier verstanden, jeden Gedanken in präziser Homogenität auf den Punkt zu bringen. Das gemischte Quatuor Hermès und das rein weiblich besetzte Quatuor Ardeo sind vom Charakter her recht unterschiedlich. Während ersteres – wie am Abend zuvor überzeugend dargelegt – die feinsinnige kammermusikalische Spielweise pflegt, geht es den vier Damen vor allem darum, ihrem Ensemblenamen (Ardeo = ich brenne) gerecht zu werden. Jedenfalls fiel die intensivere Aktivität letzteren Ensembles schon ins Auge. Musikalisch ergänzten sich die beiden Zugriffe aber erstaunlich stimmig, ja sie schienen sich geradezu gegenseitig zu beflügeln. Und an Ansporn konnten die Musiker nicht genug bekommen, ging es hier doch um zwei Werke genialer Komponisten, die in ihrem jugendlichen Übermut eines 19Jährigen, bzw. bei Mendelssohn gar 16Jährigen, alle Register gezogen haben, die ihnen nur in den Sinn kamen. Und das bescherte dem Klassikforum-Programm wohl eines der intensivsten und kraftvollsten Konzerterlebnisse seit der Gründung der Reihe.
Das Oktett Es-Dur op. 20 von Mendelssohn wird nicht gar so selten gespielt. Seine Themen bleiben ebenfalls leicht haften, sind sie doch erstaunlich einprägsam, ja geradezu echte Ohrwürmer. Der in schillernden Farben blühende Kopfsatzgarten ist der reinste Höhenflug jugendlichen Überschwangs. Als guter Schüler seiner großen Vorbilder, wusste Mendelssohn aber auch um die Wirkung starker Kontraste. Das sehnsüchtig berührende Andante erfüllte so seine Aufgabe überaus wirkungsvoll. Einen dahinhuschenden Spuk erfand Mendelssohn mit dem Scherzo, das keine Sekunde verweilt, ja letztendlich ein Hexenwerk ist und unter den flinken Fingern der Musiker hier berauschend leicht dahinflog. Goethes Faustsche Walpurgisnacht stand für diesen Satz bekanntlich Pate: „Wolkenzug und Nebelflor / Erhellen sich von oben / Luft im Laub und Wind im Rohr / Und alles ist zerstoben.“ Und dann setzte sich im weiter geführten Perpetuum mobile des Schlusssatzes der orchestrale Gedanke durch, um ein nachhaltig packendes Finale hinzulegen. Wirkungsvoller hätte das Konzert nicht enden können, was sich auch im frenetischen Schlussapplaus äußerte.
75 Jahre vor Enescus Streichoktett hatte Mendelssohn noch auf tradierte Formen sorgsam zu achten, um mit seiner Komposition zu bestehen. Anders Enescu, der aus einem anderen Kulturkreis stammend mit der Kirchenmusik griechisch-byzantinischer Prägung sowie der anspruchsvollen Folklore seiner moldawisch-rumänischen Heimat aufgewachsen war. Ein Kontext, der Enescu von den Fesseln formaler Strenge befreite, auch wenn sich das Oktett einer straffen Formgebung keinesfalls verschließt. Enescus große Themen brachten jeweils eine eigene Atmosphäre mit, was die Interpretation enorm schwierig machte, den Hörern aber bei deren Wiederholungen die Erkennbarkeit erleichterte. Die Verklammerung der vier Sätze zu einem großen symphonischen Gedanken war in der großartigen Umsetzung der acht Musiker absolut überzeugend dargelegt. Stark charakterbildend wirkten sich Unisono-Passagen mit ihrem silbrigen Schillern aus. Die so vorgestellten Hauptthemen entwickelten auch eine spannungsvolle Kraft, mit der die höchst engagiert zupackenden Musiker die Komposition aufluden, um sie schließlich im dramatischen Finale freizugeben. Betörend schön erklangen dazwischen die spätromantisch ausgelegten Weisen, die da seelentief aus einer anderen Welt hinüberklangen. Der Spannungsbogen hielt bis zum letzten Ton des berauschenden Höhenflugs. Selten ist ein Pausenapplaus so ausgiebig wie er es nach diesem Werk war.
Reinhard Palmer, 14.01.2019


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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So, 13.01.2019 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.