Nach(t)kritik
Das Leben auf 16 Saiten
Veranstaltung: Schumann Quartett: Wolf, Mozart und BeethovenOhne jetzt indiskret zu werden: Diese Musiker sind alle älter, als sie aussehen. Oder vielleicht ist es nicht wirklich eine Frage des Aussehens, sondern eher eine der Ausstrahlung. Und das 2007 gegründete Schumann Quartett, das inzwischen international zur ersten Riege der zur Zeit florierenden Streichquartett-Kunst zählt, hat sich in allem, was es tut, den neugierig erforschenden Zugang bewahrt. Hier wird ohne Netz und doppelten Boden musiziert, das hält jung.
Stilecht wird Hugo Wolfs Italienische Serenade so zum phantasievollen Charakterstück. Die entscheidenden Impulse wandern von Spieler zu Spieler, werden reaktionsschnell aufgegriffen und weiterverwandelt. Da gibt es einiges zu tun, denn Hugo Wolfs vordergründig leichtfüßiges Stückchen ist reich an harmonischen und rhythmischen Stolperstellen. Hundertprozentig präzise agieren die vier hier noch nicht. Man spielt sich noch ein – was nichts am Gesamteindruck ändert. Das Schumann Quartett setzt unbedingte Lust am Spielerischen um in gewitzte Quartettkultur.
Mozarts zwanzigstes Streichquartett in D-Dur, das den Beinamen "Hoffmann" nach seinem ersten Verleger erhielt, stellt das Ensemble vor ganz andere Schwierigkeiten als das Eingangsstück. Wo Wolfs Serenade geradezu überquillt vor vielfarbigem musikalischem Material, ist KV 499 ein (auch im Vergleich zu anderen Mozart'schen Streichquartetten) moderates Werk. Dabei kommt es also ganz auf den Gestaltungswillen und die Formkunst der Musizierenden an. Auch hier enttäuscht das Schumann Quartett nicht. Mit beispielhaft gesanglichem Ton wird das Kopfthema vorgestellt, plastisch und präsent. Dazu trägt die organische Phrasierungsgabe des Quartetts bei. Ohne zu kleben oder zu schmieren werden Phrasenenden im Menuett minimal verzögert, was den pompös-altmodischen Gestus des Satzes elegant abfedert. Auch hier werden spontane Anregungen sinnvoll in den Satz integriert, etwa wenn im pulsierenden Finale das Cello sanfte Einsprüche formuliert.
Das sind gute Voraussetzungen für Beethovens spätes vierzehntes Quartett, denn integrativere Musik ist kaum denkbar. Die ganze Welt findet in diesem Opus Platz: Klagemusik und Begräbnisernst, expressiver Gesang, aber auch Kinderliedartiges. Dem kann man mit ehrfürchtiger Strenge begegnen oder man macht es wie das Schumann Quartett und spielt es einfach, so natürlich und ungezwungen wie nur möglich. Der Effekt stellt sich dann von selbst ein. Den wehmütigen Kopfsatz müsste man nur mit passenden Worten unterlegen, dann ergäbe sich hier ein Choral, so innig, homogen und schlicht klingt dieses einleitende Adagio. Die eintretende Verdüsterung, die in Sforzati-Schlägen durchbricht, kommt hier ohne klangliche Härte aus. Was zunimmt, ist allein die Intensität. Diese findet kurze Entspannung im beschwingten Folgesatz, den eine große Variationenreihe ablöst. Dem Schumann Quartett gelingt es hier, das Thema des Satzes so lieblich darzustellen, wie es sein soll, ohne künstliches Rosa-Licht darauf zu werfen. Von dort aus nimmt eine große, musikalisch wie ausdrucksmäßig komplexe Entwicklung ihren Gang. Mal melancholisch, mal wie ein Opernquartett, das sich gegenseitig unterbricht. Die Schumann-Brüder und der Bratschist Veit Hertenstein zeigen hier ihren Humor, der im folgenden Presto grimmig eingefärbt wird. Stringent führen sie im dramatischen Finale zu Ende, was bewusst einfach begonnen hat, Beethovens Erzählung auf sechzehn Saiten, die das ganze Leben umfasst, das Helle und das Dunkle darin.
Mehr kann man von einem Streichquartett kaum verlangen. Außer eine geistreiche Zugabe vielleicht. Auch die bleibt das Schumann Quartett seinem Publikum nicht schuldig. Mit dem Scherzo aus Haydns "Vogel"-Quartett (Opus 33 Nummer 3) verabschiedet es sich unter begeistertem Applaus.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.