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Nach(t)kritik

Mi, 21.10.2015
20.00 Uhr

Der Elefant in der Riesenboa

Veranstaltung: Stefan Hunstein: Der kleine Prinz trifft Debussy
Zwei, die vom Himmel gefallen sind. Vernünftig und mit hinreichendem technischen Wissen ausgestattet der eine, seinen Gefühlen ausgeliefert der andere. Und doch hat der Vernünftige einmal Bilder gezeichnet, die damals von den großen Leuten nicht verstanden wurden und die sein Gegenüber hier in der Wüste sofort begreift. Es ist eine Geschichte von Freundschaft und Liebe, die Stefan Hunstein erzählt, seine Fassung von Antoine de Saint-Exupéry „Der kleine Prinz“ entkernt die weltbekannte Erzählung auf die Eckpfeiler, die Begegnung zwischen einem Erwachsenen und einem zarten Geschöpf aus einer anderen Welt. „Der kleine Prinz trifft Debussy“, heißt die szenisch-musikalische Lesung, in der die Literatur den Dialog mit der Musik sucht.
Mathias Huth, der am Flügel Klavierwerke von Claude Debussy spielt, übernimmt dabei den Part mit dem „Herzensblick“. Gerade diese Musik demonstriert, was gemeint ist mit dem wohl berühmtesten Zitat aus Saint-Exupérys Geschichte: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Auch die Sprache kann hier nur hinreichend agieren, ist sie doch trotz aller Bildkraft, aller in Worte zu kleidenden Sinnlichkeit in erster Linie mit dem Verstand zu rezipieren. In der Begegnung von Debussys Musik und der Gedankenwelt des Kleinen Prinzen aber entsteht ein musikalisch-literarisches Zwiegespräch, das die Herzensebenen unmittelbar erreicht. Mathias Huths Klavier wird zur dritten Stimme im Gespräch zwischen dem in der Sahara mit einem Motorschaden kämpfenden Piloten und dem nach Freundschaft suchenden kleinen Prinzen.
Der Schauspieler Stefan Hunstein war schon häufig zu Gast in Gauting, und sein markanter, die Vokale auskostender Tonfall ist dem Publikum durchaus vertraut. Hunstein zählt zu den Schauspielern, die sich Literatur einzuverleiben verstehen. Saint-Exupérys Text ist zu einem Teil von Stefan Hunstein geworden und spricht aus ihm heraus. Er ist sowohl der Pilot als auch der Kleine Prinz. Gleich in der ersten Begegnung, in der sich der weizenblonde kleine Planetenreisende von dem längst zu „den großen Leuten“ übergelaufenen Flieger ein Schaf zeichnen lässt, wird ersichtlich, dass es sich bei den beiden um ein und dieselbe Person handelt. Der Erwachsene entdeckt in sich den kleinen Jungen wieder, der einmal einen Elefanten in einer Riesenboa gemalt hat und dann über der Unkenntnis der ihn umgebenden „großen Leute“ schier verzweifelte. Was blieb ihm damals anderes übrig, als deren Rat zu befolgen und sich mit Mathematik und Geographie zu beschäftigen, mit der Vermessbarkeit der Welt. Erst angesichts der Aussichtslosigkeit, die ein inmitten der Sahara versagender Flugzeugmotor bei abnehmendem Trinkwasservorrat darstellt, erkennt er die tatsächlichen Werte des Lebens.
Die Musik Claude Debussys, die ihrerseits eine Brücke zwischen der Emotionalität der Romantik und dem Rationalismus der Moderne sucht, ist eine einleuchtende Wahl als dritte Stimme für eine szenische Lesung aus „Der kleine Prinz“. Mathias Huth erspielt dabei eine hörbare, mit dem Herzen zu sehende Stimme gewordene Empathie. Und genau dies ist es, womit sich Saint-Exupéry einen Platz in der Weltliteratur und vor allem in den Regalen der Leser erschrieben hat.
 
Sabine Zaplin, 22.10.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 21.10.2015 | © Werner Gruban