Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

So, 04.12.2022
20.00 Uhr

Der Liegende Holländer

Veranstaltung: Théâtre National du Luxembourg: "Zauberberg" nach dem Roman von Thomas Mann

Wenn es um deutschsprachiges Theater geht, stellen sich drei Fragen immer wieder neu: 1. Ist Werktreue angebracht oder dramaturgische Freiheit vorzuziehen – vulgo Regietheater? 2. Soll man der Gravitas eines Autors, wenn es sich zum Beispiel um Thomas Mann handelt, ein wenig inszenatorische Leichtigkeit beimengen, um diesen neu zu popularisieren? 3. Ist Verdichtung komplexer Stoffe zum Zwecke süffiger Theater-Kompaktheit immer bekömmlich?

Im Falle des „Théâtre Du Luxembourg“ und  seiner 2020 von Florian Hirsch erarbeiteten Fassung des Jahrhundertromans „Zauberberg“ muss man leider sagen: dreimal Nein! In der Einführung zum Stück hatte Schauspieler Maik Solbach (der selbst auch noch mehrere Rollen übernahm) noch appetitanregend davon gesprochen, dass man Thomas Manns Opus magnum als zeitlose Parallele zur Jetzt-Zeit erkannt habe – hier, im 1924 veröffentlichten Werk Manns (das ursprünglich eine „kleine Novelle“ abgeben sollte und sich nach dem Ersten Weltkrieg zu 1.000-Seiten „Zauberberg“ auswuchs), würden die großen Weltfragen verhandelt, die sich auch heute wieder stellten, so Solbach. Das umfangreiche Personal der Romanvorlage, also die Insassen eines Davoser Lungensanatoriums, liefere gleichsam ein Stellvertreter-Wimmelbild für Europäer des frühen 20.Jahrhunderts – dekadent, verwirrt, überkommen, kränklich, dem Untergang geweiht. Dieses Ausgangsmaterial hatte sich das „Théâtre“ aber auch deshalb zur Vorlage genommen, weil man im Lockdown und der damit häufig verbundenen Isolation der letzten Jahre eine artverwandte Situation zur hermetischen, kammerspielartigen Lage der Mann´schen Lungenkranken auf dem Berg sehen wollte: Der vom Rest der Welt abgeschiedene Mensch in seiner ganzen Geworfenheit also?

Die unter der Regie von Frank Hoffmann entstandene, zirka zweistündige "Zauberberg"-Version löst dieses Versprechen schlichtweg nicht ein, sie biegt stattdessen recht zügig ins leicht chaotische Entertainment ab: Da werden zwischen den Figuren zwar noch Originalsätze ausgetauscht, die Thomas Mann vor knapp hundert Jahren wichtig gewesen sein dürften („Wir Europäer haben keine Zeit!“), doch übertüncht bald schon purer Aktionismus auf der Bühne die Kraft des Geschriebenen. Da wird Polonaise getanzt, weil im Sanatorium gerade Fasching ist, da wird gesungen und gesoffen, wie es im Buche steht, aber das Vordergründige verdrängt damit die eher hintergründige Bestandsaufnahme des Menschseins, wie Thomas Mann sie durchaus mit Humor ausbreitete, weitestgehend.

Die Geschichte des Hamburger Ingenieurs Hans Castorp (sehr gut, aber zu alt für die Jungspund-Rolle: Wolfram Koch), der im Schweizer Sanatorium eigentlich nur seinen wirklich kranken Vetter Joachim Ziemßen (überzeugend blass: Marc Baum) besuchen wollte, dann aber Gefallen am ärztlich betreuten Nichtstun findet und sieben Jahre bleibt, sie wäre im Grunde auch eine Parabel auf bürgerliche Indifferenz im Angesicht des „draußen“ heraufziehenden Ersten Weltkrieges. Bei Hoffmann verschwimmen solche Konturen hingegen zu Gunsten der, nun ja, bemüht komischen Note. Castorps Mitinsassen sind bizarre Stichwortgeber, nicht mehr - Medizinal-Hofrat Dr.Behrens (Ralf Mautz) und  die ausschließlich Französisch parlierende Oligarchen-Gattin Clawdia Chauchat (Jacquelie Macauley): eher Dr. Sauerbruch-Karikaturen bzw. klischeehaftes Lustobjekt als ernste Welt-Erörterer; für die Figuren Albin und Karoline Stöhr (beide verkörpert von Maik Solbach) bleibt in der reduzierten Theaterform kaum Platz, um sie wirklich zu verstehen. Einzig der „Erzähler“ Lodovico Settembrini (Ulrich Gebauer) bringt ein wenig Ordnung und Klarheit ins wirre Bühnen-Geschehen. Und der „liegende Holländer“ Mynheer Peeperkorn, den Marco Lorenzini wirklich mit Heesterscher Inbrunst hinlegt („De Ontergang van de Welt – erledicht!“) ist leider auch bald im Jenseits.

Was unterm Strich blieb von dieser Mann-Adaption, war der Satz, den ausgerechnet Madame Chauchat spricht, als sie Hans vergebens zum Aufbruch mahnt, ehe sie selber geht: „Die Zeit ist ein gieriger Hund.“ Als Epilog dann noch Leo Ferrés bewegendes Avec le temps tout s´en va, womöglich ein letzter geretteter Gedanke Thomas Manns, vielleicht aber auch eine weitere Banalität: Mit der Zeit vergeht alles. Ja, ja.

Thomas Lochte, 05.12.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
Galerie
Bilder der Veranstaltung
So, 04.12.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.