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Nach(t)kritik

Do, 07.03.2024
20.00 Uhr

Der Sturz der Himmelsfrau

Veranstaltung: Ernst Matthias Friedrich: "Süßgras flechten"

„Am Anfang war das Wort“, nicht nur in der biblischen Schöpfungsgeschichte, sondern auch wortwörtlich am Anfang des literarischen und musikalischen Abends von Ernst Matthias Friedrich mit dem Titel „Süßgras flechten“, denn diesen beginnt der Schauspieler mit einer Collage aus Wortfetzen der Schöpfungsgeschichte. In die biblischen Passagen mischen sich plötzlich andere bekannte literarische Fragmente, “die Sonne tönt nach alter Weise“, Goethe. Stimmungsvoll unterlegt wird das ganze auf der Gitarre vom Musiker Martin Kursawe, sofort ist der Grundstein gelegt für ein Programm, welches sich in literarischen Ausschnitten verschiedenster Quellen künstlerisch der Frage nach unserem Verhältnis zu unserem Heimatplaneten nähern möchte, zumindest seit wir darauf Spuren hinterlassen.

Ernst Matthias Friedrich schafft für diesen Abend eine Symbiose aus verschiedensten Arten von Texten, um der Frage nachzugehen, wie es um unser Verhältnis zur Natur beschaffen ist und inwiefern wir uns ändern müssen und können, um wieder ein nachhaltigeres Zusammenleben von Mensch und Umwelt herzustellen. Dabei mischen sich Texte von indigenen Überlieferungen mit Poesie von Eichendorff und Rilke, Psalmen aus der Bibel, historischen Reden, wissenschaftlichen Texten und gesellschaftstheoretischen Überlegungen von Marx.

Die Idee für das Programm kam Friedrich bei der Arbeit als Regisseur bei der Hörbucharbeit des dem Abend den Titel gebenden Bestsellers "Braiding Sweetgras“ von Robin Wall Kimmerer. Kimmerer, die selbst Angehörige des Stamms der Potawatomi ist, verbindet in ihrer Arbeit als Professorin für Umweltwissenschaft stets die überlieferten Weisheiten indigener Völker zur Natur mit moderner wissenschaftlicher Pflanzenökologie. Besonders eindrucksvoll bleibt die Geschichte über den Sturz der Himmelsfrau im Gedächtnis, den Ernst Matthias Friedrich vorträgt. Erzählt wird über die Ankunft einer Unbekannten aus dem Himmelreich, die auf die Erde stürzt, auf der sie mithilfe aller Tiere dort aus ein wenig Schlamm ein Ökosystem schafft, welches den vielen darauffolgenden Generationen Lebensraum bieten soll - die indigene Schöpfungsgeschichte des heutigen Nord- und Mittelamerikas.

Aus unterschiedlichsten Sichtweisen nähert sich Ernst Matthias Friedrich immer wieder der Frage nach dem Verhältnis der Menschheit zur Natur, welches nur auf den ersten (und meistens der westlichen Kultur folgenden) Blick fast ausschließlich ausbeuterisch und zerstörerisch geprägt ist. Denn es gibt genug Lehren über die Dankbarkeit der Natur gegenüber und über gemäßigte und nicht profit- und wachstumsorientierte Landwirtschaft, über einen gleichwertigen Austausch zwischen Mensch und Umwelt; die Erkenntnis: ich nehme mir nur, was ich brauche, und ich gebe auch zurück, was ich kann. Diese Erkenntnis zieht sich von der Lyrik der Romantik über die Kapitalismuskritik von Marx bis hin zur Rede des Häuptlings Seattle 1855, „erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Denn die Erde gehört nicht dem Menschen, sondern der Mensch gehört zur Erde. Und auch Marx stellt fest, dass Gesellschaften nicht die Eigentümer der Natur sein dürfen, sondern dass es die Aufgabe einer jeden Gesellschaft ist, die Natur den nachfolgenden Generationen besser zu hinterlassen anstatt diese bis zur Zerstörung auszunehmen.

Denn sind wir nicht, wie von Häuptling Seattle festgestellt, Teil der Natur, Teil eines riesigen Organismus? Materie ist Leere, so Friedrich, wenn man einen Körper immer weiter vergrößert unter einem Mikroskop betrachtet, dann ist selbst der Atomkern ein transparentes rhythmisches Feld. Woraus besteht also der Körper? Aus Leere und Rhythmus. Unterlegt und emotional begreifbar gemacht wird der Abend deswegen zwischendurch mit verschiedensten musikalischen Beiträgen von Ernst Matthias Friedrich und dem Gitarristen Martin Kursawe, von langsamen und träumerischen Klangwelten über kirchliche Harmonieverläufe bis hin zur Weltmusik reicht dabei die musikalische Bandbreite der beiden Künstler. Die Musik verbindet das theoretische mit dem emotionalen Verstehen und schlägt eine Brücke zwischen den rationalen Fakten über die uns umgebenden Planeten und unserem kollektiven Gedächtnis auf unserem Planeten, nicht umsonst entspricht beispielsweise die Obertonreihe der C-Saite einer Bratsche  bestimmten Verhältnissen von Umlaufbahnen der Planeten, nicht umsonst waren so viele Physiker und Astronomen auch begnadete Musiker, so Friedrich. Höhepunkt ist eine wunderschöne und vielschichtige Interpretation von Bob Dylans Klassiker „Blowin' in the Wind“.

Am Ende des vielseitigen Abends gibt es einen langen Applaus, eine lustige, kleine Zugabe und die Erkenntnis, dass wir die Verbindung zur Natur zurückgewinnen können, erzählen wir uns gegenseitig nur wieder ihre Geschichten.

Amos Ostermeier, 08.03.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 07.03.2024 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.