Nach(t)kritik
Die Bar ist eröffnet!
Veranstaltung: Three Wise Men: European SongbookWer weiß schon, ob Johann Sebastian Bach in all seiner freudigen Gotteszuwendung zwischendurch auch mal den Blues hatte? Falls es so war, hat Rossano Sportiello es jedenfalls musikalisch auf den Punkt gebracht: „Bach´s Playing The Blues“ heißt das genialische Stück, das Sportiello als Pianist der „Three Wise Men“ zwischen A-Dur und Blues-Schema arrangiert hat. Es beweist nicht nur, dass Harmoniefolgen unterschiedlichster Musikrichtungen artverwandt sind, bei Sportiello passiert auch noch eine magische Zeitreise innerhalb einer einzigen Komposition. Das bosco hatte Dank der Kontaktvermittlung von Ludwig Seuss also endlich mal diese drei Grandseigneurs zu Gast, die ihr Trio nicht zufällig so benannt haben: „Three Wise Men“, das sind der aus Eindhoven kommende Saxofonist Frank Roberscheuten, der Wiener Schlagzeug-Zauberer Martin Breinschmid und der eingangs vorgestellte Rossano Sportiello am Pianoforte, alle Drei Meister ihres Fachs, Virtuosen an den Instrumenten - und eben „weise“ Connaisseure der abendländischen Kulturgeschichte.
Und weil die europäische Musiktradition sich ganz bestimmt nicht hinter der amerikanischen verstecken muss, haben die drei Weisen aus dem Abendland ihr jüngstes Album konsequentermaßen „The European Songbook“ getauft, dessen versammelte Schätze sie nun in Gauting ausbreiteten: „Va Pensiero“ aus der Verdi-Oper „Nabucco“ machte den erstaunlichen Anfang, und Frank Roberscheuten sagte dazu lapidar: „Wir behandeln alle Stücke, als wäre es Jazz.“ Die Europa-Reise setzte sich mit Franz Lehars „Lustige Witwe“ und „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ von Franz Doelle fort, einem ohnehin federleichten Evergreen, den Roberscheutens Saxofon noch ein wenig frühlingshafter intonierte - überhaupt darf man vom Saxofon-Spiel des Holländers getrost behaupten, es habe einen ebenso erfrischenden wie warmen, regelrecht „gütigen“ Ton. Die jazzigen Arrangements der „Three Wise Men“ sind strukturell häufig so aufgebaut, dass Roberscheuten die Grundmelodie quasi als Visitenkarte des Originals anspielt und dann Piano und Schlagzeug die Transformation übernehmen, während Roberscheutens Saxofon bzw. Klarinette eine Weile pausiert und dann schließlich die Rückkehr zum Ur-Thema einleitet. Sowohl Sportiello am Klavier als auch Breinschmid mit seiner zurückhaltenden Präsenz entfalten dabei wahre Wunderdinge. Der Italiener an den Tasten scheint von Stride Piano und Boogie bis zum ernst-kontemplativen Johannes Brahms wirklich alles im Köcher zu haben, und wenn er in Bachs „Jesu bleibt meine Freude“ einfach die Kadenzen verlängert und quasi das Wohltemperierte Klavier über tremolierende Höhen zum Blues und wieder zurück führt, dann ist das pure Hexerei. Martin Breinschmid seinerseits packt plötzlich ein Xylophon aus, um das irische „It´s A Long Way To Tipperary“ von Jack Judge vollkommen neu zu interpretieren – man kam folglich aus dem Staunen einfach nicht mehr heraus, zumal Breinschmid zu „Bei mir bist du scheen“ auch noch eine reine Flaschen-Drumming-Nummer vom Stapel ließ und man trunken feststellen musste: Die Bar ist eröffnet!
Nach der Pause dann ein italienisches Medley aus neapolitanischen Liedern und dem ergreifenden Motiv aus dem Film „Cinema Paradiso“ von Ennio Morricone: Hier zeigt Sportiello ein weiteres Mal seine große Deutungskunst als Arrangeur und Pianist. Das 2.Klavierkonzert von Rachmaninoff, 1945 unter dem Titel „Full Moon And Empty Arms“ von Buddy Kaye und Ted Mossman für einen Song popularisiert, folgte auf dem Pedal-Fuße. Der Abend verging wie im Fluge, trotz der längeren Pause und der erstmals wieder lockenden „bar rosso“ des bosco: Deutsche Klassiker mit „Guten Abend, gut Nacht“ eines gewissen Johannes Brahms, mal von Sportiello beschleunigt um Achtel-Noten am piano, mal von Breinschmids Griff ins Flügelinnere drollig intoniert und daher nicht gerade schlaffördernd oder gar einlullend. Beethovens „Ode an die Freude“, im sanften Schlenker zu „When The Saints Go Marchin´ In“ und sogar zu „Glory, Glory Hallelujah“ und einem sangesfreudigen Publikum hinüberschwenkend – ein weiteres Wunderwerk, das letztlich von einem zirzensischen Schlagzeugwirbel Breinschmids beschlossen wurde. Drei weise Männer hatten also mit ihrem „European Songbook“ eindrucksvoll gezeigt, was die „Alte Welt“ musikalisch so zu bieten hat. Wer´s nicht miterleben durfte: Im Sudhaus Seefeld spielt das geniale Trio am kommenden Sonntag noch einmal.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.