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Nach(t)kritik

Mi, 22.11.2023
20.00 Uhr

Die Lebensfreude wird nicht rationiert!

Veranstaltung: Gerd Holzheimer: Nur der Not keinen Schwung lassen (Teil 2)

Um zu spüren, dass die Zeiten momentan voller Sorgen sind, dafür genügt ein Blick in die Zeitung. Auch wenn es zu jeder Zeit gewaltvolle Konflikte und komplizierte Auseinandersetzungen gab und gibt, so scheint das Konfliktpotential in den letzten Monaten doch wieder Konjunktur zu haben. „Die Not hat im Augenblick doch einen Schwung“ stellt Gerd Holzheimer direkt zu Beginn des zweiten Teils seiner dreiteiligen Reihe zum Thema Hoffnung fest. Der Titel des Abends, ein häufig gehörter Spruch der 50er-Jahre, also der Zeit des Wiederaufbaus im Echo der Kriege und im Schatten der Trümmer, ist allerdings ein hoffnungsvoll gestimmter: „Nur der Not keinen Schwung lassen“. Und fast noch kämpferischer, ja weil auch trotziger dem Leid gegenübertretend, der Titel dieses zweiten Teils der Reihe: „Weil!“

Wieder einmal stellt Gerd Holzheimer gekonnt ein Programm quer durch die Literaturgeschichte zusammen und findet treffende Beispiele für textliche Hoffnungsschimmer innerhalb dunkler historischer Kontexte, Passagen aus verschiedensten Werken, die die Leichtigkeit feiern und sich den schönen Rätseln des Lebens widmen - dabei durchaus auch die Leiden und Schrecken ihrer Umwelt und Zeit anerkennend, aber sich nie diesen resigniert hingebend. Einer dieser Autor*innen ist der damals noch junge Kurt Tucholsky, der in seinem „Rheinsberg“ von einer von Beginn an auf sehr kurze Zeit ausgelegten Liebe erzählt, und besonders von der darin enthaltenen Unbedarftheit und Freiheit berichtet. Doch der von Gerd Holzheimer als „zutiefst anrührend“ beschriebene Text erzählt eben auch von einer unendlich großen Sehnsucht nach Erfüllung und Liebe, die nie ganz befriedigt werden kann. Diese Ambivalenz gilt es zu begreifen; es ist nicht das Ignorieren der Grausamkeiten um die Autor*innen herum, sondern die Anerkennung all der verschiedenen Schrecken und dennoch oder gerade deswegen der offene und wachsame Blick gerichtet auf die schönen und geheimnisvollen Dinge ihres Lebens, der die Texte das Abends ausmacht.

So beispielsweise auch in Lena Christs „Erinnerungen einer Überflüssigen“; allein der Titel des Werkes ist so traurig, und doch beschreibt die Autorin glückliche Stunden, die sie in Zeiten des Leides mit ihren Großeltern verbrachte und die in der Erinnerung fast eine märchenhafte Ausgestaltung erfahren und von Liebe berichten, die so universell ist, dass das Publikum sich oft in den Erzählungen von Kinderspielen und dem Verhalten der Großeltern wiederfindet und lacht. Generell gibt es auch viel komisches zu hören an diesem Abend, gerade in harten und vom Krieg gezeichneten Zeiten lässt einen Humor die Erfahrungen verarbeiten, reflektieren und verstehen, so beweisen es auf jeden Fall Giovannino Guareschis Don Camillo und Peppone, die sich im Angesicht des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg in Italien als politische Rivalen doch ähnlicher sind, als sie es selber gerne wahr hätten. Zwei kurze Auszüge aus ihren gemeinsamen, ja man könnte fast schon sagen Abenteuern, brechen die in den anderen Texten oft trotz aller Heiterkeit mitschwingende Melancholie auf und stiften herzhaftes Gelächter bei den Zuhörenden.

Dafür sorgt nicht zuletzt auch die Sprecherin Anna Veit, die mit ihrer beeindruckenden Stimmvielfalt die Geschichten erzählerisch ausgestaltet und mal einfühlsam, mal mitreißend vorträgt, was eine wahre Freude ist. Dabei wechselt sie je nach vorgetragenem Text vom Hochdeutsch ins Bayerische; besonderer Höhepunkt ist eine urbayerische Fassung der Geschichte vom „Brandner Kaspar“, der man sich durch Anna Veits ehrliche Interpretation nicht entziehen kann und die das Motiv von Humor im Angesicht des Krieges und des Todes auf die Spitze treibt.

Es muss nicht immer alles bis in den Kern verstanden und hingenommen werden, was einem an Not begegnet. Aber dieser keinen Aufschwung zu geben, indem man sagt „Weil!“, nicht die Hoffnung aufzugeben, so beweisen es die vorgetragenen Textpassagen, das lässt einen den Mut nicht verlieren, auch nicht in Zeiten, in denen die Not leider wieder einen Schwung bekommt.

 

Amos Ostermeier, 23.11.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 22.11.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.