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Nach(t)kritik

Do, 18.06.2015
20.00 Uhr

Die Mütze

Veranstaltung: Jugendtheater: Tod eines Superhelden
Die Mütze, die der vierzehnjährige Donald zu jeder Zeit auf dem Kopf trägt, unterscheidet ihn nicht unbedingt von anderen Altersgenossen. Sie ist der Code für die Musik, die Donald und andere Vierzehnjährige hören, steht für coole Sprüche, für die Szene der Graffitis- und Comic-Fans. Donald kann sogar selber phantastisch zeichnen. Miracleman, heißt sein eigener Comic-Held, der sich aufmacht, das Böse zu besiegen und die Welt , vor allem aber die schöne Frau an seiner Seite, zu retten.
Die Mütze auf Donalds Kopf ist trotzdem anders. Sie verbirgt das untrügbare Zeichen für Donalds Krankheit: er hat Krebs, die Chemotherapie hat ihm die Haare genommen. Der Krebs nimmt ihm die Zeit. Donald muss alles viel schneller erleben, seine Jugend, die erste Liebe - er muss ganz einfach schneller leben. So wie Miracleman. Der kann das. Darum zeichnet Donald wie besessen, erweckt Miracleman zum Leben und lässt ihn durch die Welt rasen wie ein echter Superheld. „Death of a Superhero“, heißt der großartige Roman von Anthony McCarten, und „Tod eines Superhelden“ heißt die rasante, ausgezeichnete Theaterproduktion der aus Planegg stammenden Regisseurin Chris Hohenester. Mit neun Jugendlichen im Alter zwischen fünfzehn und achtzehn hat sie eine Szenencollage aus temporeich aufeinanderfolgenden, dichten Bildern erarbeitet, die an Donalds Comic erinnern und in denen immer mehr Realität und Phantasie ineinander verschwimmen. Während Donald, dessen Alltag von Klinikaufenthalten, Therapeutenbesuch und Begegnungen mit seinen Freunden geprägt ist, immer schwächer wird, nimmt in seiner Phantasie der Superheld Miracleman den Kampf auf gegen einen Horrorarzt mit blutiger Schürze und krallenbesetzten Gummihandschuhen. Und als Donald in einem letzten Versuch, den Krebs aufzuhalten, Knochenmark entnommen werden soll, wehrt Miracleman sich gegen Gummifingers Attacke mit aller Kraft, die ein Superheld besitzt. Verlieren werden sie am Ende beide – oder doch nicht? Haben Donald und sein Superheld nicht unendlich viel mehr gewonnen: die wahre Liebe, echte Gefühle, eine andere, künstlerische Art der Weltwahrnehmung?
Jawad Sankowa lässt als Breakdancer seinen Miracleman auf einer anderen und ebenso künstlerischen Ebene agieren wie der Zeichner Ludwig Dressler, der als „Double“ Donalds Zeichnungen live auf der Bühne entstehen lässt, auf einer Leinwand im Proszenium. So gewinnt die Phantasiewelt eine mit wenigen Mitteln gestaltete wirkungsvolle Bedeutung und gerät zur eigentlichen „Echt-Welt“. Ihr gegenüber steht die zum Comic sich wandelnde Ebene der Realität, in der Donalds mit der Situation vollkommen überforderte Eltern mit Büchern aufeinander einschlagen oder in unbegründete Euphorie geraten. Einzig der Psychotherapeut – sehr überzeugend gestaltet von Jasper Deindl – hört Donald zu und akzeptiert seinen Anspruch, trotz der lebensbedrohlichen Krankheit als normaler Jugendlicher angenommen zu werden.
Ein großer Coup ist der Regisseurin mit der Besetzung der Hauptfigur gelungen: Cedric Carr aus Starnberg ist ein wahrer Glücksfall für diese Rolle, er spielt den Donald mit einer souveränen Selbstverständlichkeit, jenseits jeglicher Theatralik und mit so großer Würde, dass man tatsächlich sowohl das eigen Bild der Figur nach der Romanlektüre vergisst als auch beinahe Thomas Brodie-Sangster aus der Verfilmung „Am Ende eines viel zu kurzen Tages“ (die im vergangenen Jahr in der Reihe „film im bosco“ zu sehen war). Es liegt nicht zuletzt an ihm, dass man diese rasante, geschickt zwischen Groteske und Tragödie balancierende Vorstellung nicht so schnell vergessen wird.
SABINE ZAPLIN
 
Sabine Zaplin, 18.06.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 18.06.2015 | © Werner Gruban