Nach(t)kritik
Die Ruhe des Decken-Ventilators
Veranstaltung: Rosetta Trio: ThwirlAls es in Memphis einmal so heiß war, dass sich praktisch nur noch der Decken-Ventilator bewegte, komponierte Stephen Crump für seine CD "Thwirl" das dazu passende Stück namens „Still Stolid“: Ein Bluesmotiv, das in der rhythmischen Grundbewegung nur gaaaaaanz langsam voran kommt und sich sozusagen ständig „den Schweiß von der Stirne wischen muss“ - minimalistisch und schleppend wird dieser Blues vom „Rosetta Trio“ vorgetragen, es ist ein höchst originelles Zitat der flirrenden Südstaatenhitze und all ihrer bekannten musikalischen Entsprechungen. Crumps seit über zehn Jahren bestehendes Trio, gerade aus den Staaten eingeflogen und am Beginn einer kleinen Europa-Tour mit Auftritten im Bosco, in Italien, Frankreich und dann wieder Deutschland, scheint sich auf solche Musik-Destillate spezialisiert zu haben: Akustikgitarrist Liberty Ellman, Jamie Fox an der E-Gitarre und Akustikbassist Crump kommen dabei völlig ohne Gebläse, Drums oder gar Piano/Synthesizer aus, ganz im Sinne der Konzentration. Eine musikalische Phrase wird entweder aufs Wesentliche reduziert und gerne in Wiederholungen ausgereizt oder ein Stück weit über das Taktende hinaus „weiter gesponnen“ wie eine noch nicht auserzählte Möglichkeit. Ellman und Fox sind jeder auf seine Weise Meister solcher Reduktion: Beide können aber auch mal einem einzelnen Ton oder Akkord die „Hauptrolle“ eines ansonsten gleichmäßig dahinfließenden Stück verschaffen – für den absoluten Hörgenuss sorgt dabei die fast durchgängig zurückgenommene, leise Gangart; es mutet wie das gleichzeitige Weben feinster Spinnwebfäden an, wenn Akustik und E-Gitarre die Mitte solcher Kompositionen ansteuern, manchmal einander widerspre-chend, dann wieder ironisch kommentierend, was der andere gerade so treibt: Crumps mal gestrichener, mal gezupfter Bass wirkt oft als Bindeglied dieser Dreifaltigkeit, hat aber auch ein „Eigenleben“. Die Wirkung solcher souveräner Einzelinstrumente erinnert zeitweilig in betörender Weise an frühe „King Crimson“-Wagnisse: Eine zur jaulenden E-Gitarre gegenläufig aufgebaute Linie der Akustikgitarre über gleichmäßigem Bass. Dann wieder kann das soeben Entfachte mit einer einzigen Note ersterben, die als Ausrufezeichen oder wiederum augenzwinkernd das jähe Ende markiert – klinkt sich ein Instrument aus, bricht das Gesamtbild zusammen wie ein Kartenhaus. Für den Ohrenzeugen ist derlei ein einziger, intellektuell unterfütterter Genuss: Sekundenweise meint er, mitten im großen blubbernden Fluss der drei Saiteninstrumente, ein Bach-Thema vorüber huschen zu hören, dann wieder eine Prise Blues-Schema oder auch nur einer der erwähnten Akkord-Bausteine. Fox lächelt dabei in sich hinein wie der späte Henry Fonda und denkt sich sein Teil. Die Stücke des „Rosetta Trios“ tragen die entsprechenden Titel: „Synapse“ oder „Conversate Talkingwise“ - hier wird assoziativ Musik gemacht und das Hirn angesprochen. Die eigentliche „Message“ der drei Amerikaner aber ist vielleicht die, dass man Dinge auch nur andeuten kann, um sie verständlich zu machen – oder anders gesagt: Sie lotsen einen ganz sachte in den Kern ihrer Musik, den sie zuvor sachte entblättert haben. Damit erreichen sie mehr als andere, die ihre Mittel auch lautstärkemäßig ausreizen. Irgendwie konsequent, wenn so eine Komposition dann „Overreach“ heißt. In der Ruhe liegt also mal wieder die Kraft, das weiß wohl auch ein gleichmäßig drehender Decken-Ventilator im brütend heißen Memphis, Tennessee. Begeisterter Applaua im Bosco schon zur Pause: So etwas Feines bekommt man wirklich nur selten serviert.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.