Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

Fr, 10.03.2023
20.00 Uhr

"Es wird immer Kino geben..."

Veranstaltung: Diskussion zur Ausstellung: "Kinokrise/Kinoperspektiven"

Corona-Pandemie mit verordneten Kino-Schließungen verbannten die Menschen vollends auf ihre heimischen Sofas:  Ein hochkarätig besetztes Podium diskutierte deshalb in der Bar rosso mit dem „Breitwand“-Betreiber Matthias Helwig und Filmfestival-Forscherin Tanja C. Krainhöfer die aktuelle Krise. Cineast Matthias Helwig, der das neue Gautinger „Breitwand“ mit fünf Sälen und Lokal “Tati“ betreibt, machte Mut: Mit Filmfestivals, Formaten wie Filmgesprächen würden Kinos wieder zu „lebendigen Treffpunkten“, ist der Leiter des Fünf Seen-Filmfestivals überzeugt. Aber  die Jugend „haben wir an Netflix verloren.“

Vor den Plakaten der aktuellen Ausstellung „Cinemas - From Babylon Berlin to la Rampa Havana““ diskutierten circa 30 versammelte Cineastinnen und Cineasten in Gauting das allgemeine Kinosterben. Die gelungenen, einzigartigen Fotos von Margarete Freudenstadt, die noch bis 21. April im bosco hängen werden,  dokumentieren dazu ergänzend  längst verlassene Lichtspielhäuser in der 1989 untergegangenen DDR.  Aber auch menschenleere Kinogebäude im sozialistischen Kuba.

Streaming-Dienste beschleunigten seit den Nuller-Jahren das  allgemeine Kinosterben - auch in München, wirft Filmfestival-Forscherin und Strategieberaterin Tanja C. Krainhöfer den Blick zurück. Denn Türkendolch, Lupe oder Filmcasino am Odeonsplatz sind längst Geschichte. Allein in Berlin sank die Anzahl der Kinos seit 2009 von 97 Standorten auf heute 81 - „ein Rückgang von fast 20 Prozent.“

Während früher die Twens die stärkste Gruppe der Kinogänger waren, sähe man die heute kaum noch, blickt die Medienwissenschaftlerin zurück. Aber auch Free TV habe keine Zukunft. Das Durchschnittsalter eines ARD-  Zuschauers sei bereits 65 Jahre.  

Erstaunlich: Bereits 1972 habe der legendäre Filmkritiker Peter Jansen den Untergang von TV und Kino prognostiziert: Kapitalgeber wie Google, Amazon, Apple, die genaue Kenntnis über die Vorlieben ihre Nutzer haben „werden die Gesellschaft künftig kanalisieren“, blickte die Medienwissenschaftlerin  voraus.

Der Film „Triangle of Sadness“ sei die einzige große  Ausnahme gewesen, der alle Generationen zurück ins Kino holte - einem niederschwelligen „Kulturort.“

„Enormen Zuwachs“ seit den 1980er-Jahren verzeichneten lediglich die deutschen Filmfestivals. Denn da nehme eine Festivalleiterin etwa die Migrations-Community der Griechen oder Türken als Zielgruppe an die Hand- „und schaffe einen Begegnungsort.“ Umwelt-, Doku-, Frauen-Film-Festivals „geben in einer komplexen Welt Orientierung“, verrät  Medienwissenschaftlerin  Krainhöfer das Erfolgsgeheimnis dieses Formats.

„War es Trotz, Naivität oder grenzenloser Optimismus, dass du in Gauting ein Kino mit fünf Sälen gebaut hast?“ stellt die Moderatorin und Drehbuchautorin Tanja Weber dem Cineasten Mathias Helwig nach dem pessimistischen Vortrag die Grundsatzfrage.

Er habe ja schon zuvor „30 Jahre lang Kino gemacht“,  erinnert der Betreiber der „Breitwand“-Kinos und Fünf Seen Film Festival-Leiter - „und ich mache sehr viel aus dem

Bauch heraus.“  Doch ein Filmtheater mit einem einzigen Saal sei nicht wirtschaftlich, weil da nur ein Streifen gezeigt werden kann, aber jede Woche kämen 10 bis 15 Filme neu auf den Markt. Aus diesem Grund habe er sein „Breitwand“ Herrsching als „Einzelkino“ 2018 geschlossen. Auch das Starnberger „Breitwand“ als Doppelkino sei „eigentlich nicht mehr machbar.“ 

Dass Corona mit Schließungen noch dazukam „war nicht in meinem Kalkül“, bekennt Matthias Helwig.

Er müsse daher neue Besuchergruppen aus der nächsten Generation  erschließen. Doch abgesehen vom Publikumsmagnet „Traingle of Sadness“ gingen die Töchter und Söhne der Arthouse-Väter durch die Streaming-Dienste leider verloren, bedauert Cineast Matthias Helwig (63).

„Ganz schlimm“ habe er gefunden, dass es bei Kulturpolitkern nach den Corona-Schließungen geheißen habe, „Kinos sind vernachlässigbar.“  Denn sie seien ein „niedrigschwelliger“ Kulturort und Treffpunkt aller sozialen Schichten.

Die deutsche Filmförderung gehe ihm total gegen den Strich, weil sie keine finanziellen Anreize schaffe, damit die Leute ins Kino gehen, so Helwig weiter. Denn die Politik fördere die deutsche Filmproduktion. Es spiele dabei keine Rolle, dass sich hinterher nur ein einzelner Zuschauer den Film im Kino anschaut.

„Es wäre einfach schön“, wenn sich Jung und Alt im Kino  mehr mischen würden, resümiert Breitwand-Betreiber Matthias Helwig. Er biete deshalb auch Filmgespräche an.

Aber dass gerade mal ein Jugendlicher am aktuellen „Coming-of-Age“ Film „Sonne aus Beton“, interessiert war, „gibt mir zu denken.“

Er lasse indes nichts unversucht: Einmal habe er  eine Jugendgruppe, die im Gautinger Kinolokal „Tati“ saß, zur Vorstellung bei freiem Eintritt eingeladen - leider ohne Erfolg. Denn die Jugend habe er an Netflix verloren.

Die unmittelbare Zukunft mit nur noch 60 Prozent Arthouse-Besuchern „wird sehr schwer werden“, prophezeit Matthias Helwig. Doch längerfristig werde es „immer Kino geben - und Menschen, die es gestalten wollen“ ist der Cineast überzeugt, denn: „Ich mach's eh noch eine Weile“, sagt der 63-Jährige mit feinem Lächeln.

Christine Cless-Wesle, 11.03.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
Galerie
Bilder der Veranstaltung
Fr, 10.03.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.