Noch immer haben sich viele Kinos nicht von den Corona-Folgen erholt. Die Menschen und die Filmbranche haben sich in der Pandemie verändert. Was bedeutet das für die Lichtspielhäuser? Ein Gespräch mit Kinobetreiber Mathias Helwig
Während der Corona-Pandemie haben viele Kinos schwer gelitten. Erst mussten sie schließen, dann wurden die Besucherzahlen stark beschränkt. Jetzt ist die Pandemie vorbei – also alles wieder gut? Mitnichten, sagt Mathias Helwig, Betreiber der Breitwandkinos in Gauting und Starnberg. Im Gespräch erklärt er, warum noch immer viele Kinos ums Überleben kämpfen, welche Rolle die Streamingdienste dabei spielen – und warum Preise heutzutage wichtiger sind als Zuschauerquoten.
SZ: Herr Helwig, Corona ist vorbei, dennoch hört man, dass viele Kinos in der Krise stecken. Sind das immer noch die Folgen der Pandemie?
Mathias Helwig: Es wird nie wieder so sein wie vor Corona. Dafür gibt es auch Belege. Die Besucherzahlen liegen bei uns bei 70 bis 80 Prozent des Niveaus vor der Pandemie. Kinos, die rein auf Arthouse setzen, erreichen oft nur 60 Prozent. Auch gesellschaftlich hat sich vieles verändert. Durch die Maßnahmen sind die Leute ja quasi dazu hinerzogen worden, sich Filme nur noch zu Hause auf dem Sofa anzuschauen. Einige haben sich davon auch wieder gelöst, aber das geht nur langsam. Und dann kommt hinzu: Auch die Produktionsseite hat sich verändert.
Inwiefern?
Es wird heutzutage in erster Linie für Streamingdienste und das Fernsehen produziert. Der Filmbranche geht es wunderbar, den Kinos weniger. Und die Vorlieben haben sich verändert. Filme, die im Mainstream beworben werden, funktionieren hervorragend und erreichen auch hohe Besucherzahlen. Das hat sich weiter verschoben, nur die ganz großen Werke wie „Avatar“ dringen wirklich durch.
Länder wie Frankreich nehmen Streamingdienste in die Pflicht, Investitionen in die heimische Filmkultur zu tätigen. Wäre das auch ein Modell für Deutschland, um die Kinos zu retten?
Das braucht es unbedingt. Aber man muss auch die Unterschiede beachten: Frankreich ist eine Filmnation, Deutschland ist eher eine Fernsehnation. Bei uns ist Filmkultur nicht so verortet, es gilt eher als Entertainment denn als wirkliche Kultur. Aber ja, es würde uns schon sehr helfen, wenn die Streamingdienste dazu verpflichtet werden würden, die hiesige Film- und Kinobranche finanziell zu unterstützen.
Hat das Kino in Deutschland also nur einen geringen Stellenwert?
So weit würde ich nicht gehen. Aber was schon wehgetan hat: Während der Pandemie, als wir schließen mussten, hieß es oft, man könnte doch auf den Kinobesuch verzichten. Das ist schon schlimm, weil sich diese Einstellung bei manchen Kulturpolitikern in der Region verfestigt hat. Dabei ist das eine Missachtung des ganzheitlich angelegten Menschen: Wir brauchen einfach kulturelle Betriebe wie Theater, Museen – und eben auch Kinos.
Der Regisseur Roland Emmerich hat den Kinos eine Lebensdauer von noch maximal 20 Jahren attestiert. Sind die Zukunftsaussichten so schlecht?
Ich glaube nicht. Das Kino wird immer bleiben. Die Leute wollen Kino genauso haben wie Theater und andere Kultureinrichtungen. Das Kino ist nach wie vor ein niedrigschwelliges Angebot, um sich einen schönen Abend zu machen. Aber die Leute sind bequemer geworden, viele arbeiten vor allem von zu Hause aus und gehen nicht nochmal extra raus, um ins Kino zu gehen. Es hieß schon oft, das Konzept Kino sei tot. Aber es hat sich bis heute gehalten.
Viele Branchenvertreter fordern von der Bundesregierung, die seit über einem Jahr aufgeschobene Novellierung des Filmförderungsgesetzes endlich durchzuführen, um Fördergelder schneller und gerechter verteilen zu können. Würde das den Kinos denn helfen?
Ja. Allerdings braucht es eine große Lobbyarbeit der Kinos. Der Politik ist es in erster Linie wichtig, dass ein deutscher Film produziert wird. Dafür gibt sie auch viel Geld aus. Das Problem ist aber: Wenn der Film erstmal fertig ist, interessiert es die meisten kaum noch, ob er im Fernsehen oder im Kino läuft. Nehmen wir die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“. Der Film war für die Kinos nicht relevant. Aber er hat gute Chancen, drei oder vier Oscars zu gewinnen. Dann werden alle jubeln. Wie viele Leute aber den Film im Kino gesehen haben, ist ihnen egal. Der Preis zählt mehr als die Quote.
Das heißt also, ein Film wird bis zu seiner Fertigstellung gefördert, die Vermarktung dagegen spielt dann keine Rolle mehr?
Genau. Man müsste viel mehr Anreize schaffen, damit die Produktionsfirmen ein Interesse daran haben, dass ihre Werke ein großes Kinopublikum erreichen. Man denkt weiter viel zu wenig an das Ende der Verwertungskette – dort stehen meist die Kinos. Man müsste dafür sorgen, dass eben nicht alles gefördert wird, sondern ein Teil der Produktionskosten über die Zuschauer finanziert werden muss. Dann müssten die Firmen viel mehr Werbung machen.
Viele Menschen ziehen einen Abend auf dem Sofa also einem Besuch im Kino vor. Was bedeuten die veränderten Gewohnheiten der Menschen für Sie persönlich?
Ich hatte schon das Gefühl, dass ich fast komplett neu anfangen musste. Ich bin jetzt 63 Jahre alt, da habe ich mir schon erstmal gedacht: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Aber ich erzähle gerne vom Film, das ist etwas, was ich mag und das ich kann. Also setze ich noch mehr auf das Persönliche: Ich versuche, noch öfter im Kino zu sein und noch mehr Filmgespräche zu machen. Ich möchte das Kino wieder attraktiv machen und mehr bieten als den reinen Film. So bin ich bislang auch ganz gut gefahren.
Kinobetreiber klingt dennoch nach einem eher stressigen Job.
Das ist es auch. Aber: Leute wie ich machen immer weiter, weil ich schon das Gefühl habe, etwas Schönes zu tun, etwas, das ich gerne mache. Wer es nicht gerne macht, wird sich nicht für diesen Berufsweg entscheiden. Kinobetreiber ist ein Kulturberuf. Man hat nicht die Sicherheiten, die viele gerne hätten. Aber dafür hat man viele Freiheiten und kann das machen, was einen interessiert und Freude bereitet. Was will ich mehr?
Zur Situation der Kinos findet am Freitag, 10. März, um 20 Uhr im Gautinger Bosco eine Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Kinokrise/Kinoperspektiven“ statt. Teilnehmen wird unter anderem auch Mathias Helwig; der Eintritt ist frei