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Nach(t)kritik

Do, 14.11.2024
20.00 Uhr

Eurydike zur Bühne, bitte!

Veranstaltung: Michael Quast, Fliegende Volksbühne Frankfurt: "Orpheus in der Unterwelt" von Jacques Offenbach

Ludovic Halévy, der Librettist von Jaques Offenbach und Mitautor von dessen „Orpheus in die Unterwelt“, erinnerte sich an seinen umtriebigen Freund als an einen wahren Tausendsasa: „Er schrieb, schrieb und schrieb – mit un­wahr­schein­li­cher Ge­schwin­dig­keit! Ab und zu schlug er da­zwi­schen mit der lin­ken Hand ei­ni­ge Ak­kor­de auf dem Kla­vier an, nach ei­ner Ton­fol­ge su­chend, wäh­rend die Rech­te un­auf­hör­lich über das Pa­pier glitt. Sei­ne Kin­der tum­mel­ten sich um ihn her­um, schrei­end, spie­lend, la­chend und sin­gend. Freun­de und Mit­ar­bei­ter ka­men – völ­lig un­be­fan­gen plau­der­te, scherz­te und un­ter­hielt er sich, wäh­rend sei­ne rech­te Hand im­mer wei­ter schrieb.“ So umtriebig und agil zeigt sich auch Michael Quast in seiner Version von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, in welcher er nahezu alle Rollen des Werkes selber spielt, singt und miteinander in Aktion bringt - alles in einer Person. Da lag es nahe, dass sich Quast seit nunmehr bald drei Jahrzehnten mit dem Werk von Jaques Offenbach beschäftigt - neben dem „Orpheus“ steheh in seiner Fliegenden Volksbühne Frankfurt Rhein-Main auch „Die Schöne Helena“, „Pariser Leben“ und „Die Großherzogin von Gerolstein“auf dem Spielplan.

Man merkt dieser Inszenierung die lange Zeit, die diese mittlerweile „auf dem Buckel“ hat, an keiner Stelle an. Mit sichtlich großem Vergnügen zelebriert Michael Quast, gemeinsam mit Rhodri Britton am Flügel, die Geschichte um Liebe, Lust und Betrug, um geheime Wünsche, Egoismen und nicht zuletzt um Ratsch und Tratsch. Schon mit der Ouvertüre setzen Quast und Britton die Zeichen auf Satire: summend ahmen sie nach und nach die Solo-Instrumente sowie die ganze Streichergruppe nach, und während sich Britton an den Flügel zurückzieht, nimmt Quast die Fänden nun erzählerisch in die Hand und öffnet mit dem Beschreiben der Szene in Worten den Vorhang.

Dabei übernimmt Michael Quast nicht allein sämtliche Rollen des Werkes, sondern wird auch zur Stimme des Inspizienten, die immer wieder zwischendrin professionell dezent über das bereitstehende Mikrophon „Eurydike bitte auf die Bühne, Eurydike bitte“ durchsagt oder den Chor sonor auf die Hinterbühne bittet. Und natürlich hält es den Komödianten Quast selten lang am bereitstehenden Lese-Tisch. Mal springt er auf, um als Orpheus zur Geige zu greifen und mit schauerlichem Spiel sowohl die Gattin Eurydike als auch den Bogen zu quälen, dem nach und nach die Haare auszugehen scheinen, so wie die Bespannung sich strähnenweise löst. Dann wieder wird er zum vielgestaltigen Jupiter und ahmt dessen Verwandlungskünste gestenreich nach, bis in die Flügel der Fliege hinein, in deren Gestalt dieser sich Eurydike nähert.

In diesem „Orpheus“ kommt niemand gut weg: auf den ersten Blick scheinen vor allem die Frauenfiguren sich nah am Klischee zu bewegen, pralinenessend und hysterisch aufschreiend, wie sie gezeichnet sind; doch der Fairness halber muss erwähnt werden, dass auch die Männerfiguren allesamt keine strahlenden Helden sind - eher im Gegenteil. Und natürlich ist all das schon genau so bei Jaques Ofenbach angelegt. „Offenbach-Operetten sind fantasievoll und eigentlich völlig spinnert“, sahte Michael Quast vor einigen Jahren im Interview der Frankfurter Rundschau und bezeichnet den Komponisten dort als „Urvater des musikalischen Kabarett“, von dem er selber herkommt.

Der eigentliche Held dieses Abends ist Michael Quast selber, der mit einer so umwerfenden Virtuosität sich in diesen „Orpheus“ hineinwirft, dass man ihm so manchen Kalauer sofort verzeiht. So macht Operette Spaß - und so ist der schillernde Theaterenthusiast Jaques Offenbach neu zu entdecken.

Sabine Zaplin, 15.11.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.