Ludovic Halévy, der Librettist von Jaques Offenbach und Mitautor von dessen „Orpheus in die Unterwelt“, erinnerte sich an seinen umtriebigen Freund als an einen wahren Tausendsasa: „Er schrieb, schrieb und schrieb – mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit! Ab und zu schlug er dazwischen mit der linken Hand einige Akkorde auf dem Klavier an, nach einer Tonfolge suchend, während die Rechte unaufhörlich über das Papier glitt. Seine Kinder tummelten sich um ihn herum, schreiend, spielend, lachend und singend. Freunde und Mitarbeiter kamen – völlig unbefangen plauderte, scherzte und unterhielt er sich, während seine rechte Hand immer weiter schrieb.“ So umtriebig und agil zeigt sich auch Michael Quast in seiner Version von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, in welcher er nahezu alle Rollen des Werkes selber spielt, singt und miteinander in Aktion bringt - alles in einer Person. Da lag es nahe, dass sich Quast seit nunmehr bald drei Jahrzehnten mit dem Werk von Jaques Offenbach beschäftigt - neben dem „Orpheus“ steheh in seiner Fliegenden Volksbühne Frankfurt Rhein-Main auch „Die Schöne Helena“, „Pariser Leben“ und „Die Großherzogin von Gerolstein“auf dem Spielplan.
Man merkt dieser Inszenierung die lange Zeit, die diese mittlerweile „auf dem Buckel“ hat, an keiner Stelle an. Mit sichtlich großem Vergnügen zelebriert Michael Quast, gemeinsam mit Rhodri Britton am Flügel, die Geschichte um Liebe, Lust und Betrug, um geheime Wünsche, Egoismen und nicht zuletzt um Ratsch und Tratsch. Schon mit der Ouvertüre setzen Quast und Britton die Zeichen auf Satire: summend ahmen sie nach und nach die Solo-Instrumente sowie die ganze Streichergruppe nach, und während sich Britton an den Flügel zurückzieht, nimmt Quast die Fänden nun erzählerisch in die Hand und öffnet mit dem Beschreiben der Szene in Worten den Vorhang.
Dabei übernimmt Michael Quast nicht allein sämtliche Rollen des Werkes, sondern wird auch zur Stimme des Inspizienten, die immer wieder zwischendrin professionell dezent über das bereitstehende Mikrophon „Eurydike bitte auf die Bühne, Eurydike bitte“ durchsagt oder den Chor sonor auf die Hinterbühne bittet. Und natürlich hält es den Komödianten Quast selten lang am bereitstehenden Lese-Tisch. Mal springt er auf, um als Orpheus zur Geige zu greifen und mit schauerlichem Spiel sowohl die Gattin Eurydike als auch den Bogen zu quälen, dem nach und nach die Haare auszugehen scheinen, so wie die Bespannung sich strähnenweise löst. Dann wieder wird er zum vielgestaltigen Jupiter und ahmt dessen Verwandlungskünste gestenreich nach, bis in die Flügel der Fliege hinein, in deren Gestalt dieser sich Eurydike nähert.
In diesem „Orpheus“ kommt niemand gut weg: auf den ersten Blick scheinen vor allem die Frauenfiguren sich nah am Klischee zu bewegen, pralinenessend und hysterisch aufschreiend, wie sie gezeichnet sind; doch der Fairness halber muss erwähnt werden, dass auch die Männerfiguren allesamt keine strahlenden Helden sind - eher im Gegenteil. Und natürlich ist all das schon genau so bei Jaques Ofenbach angelegt. „Offenbach-Operetten sind fantasievoll und eigentlich völlig spinnert“, sahte Michael Quast vor einigen Jahren im Interview der Frankfurter Rundschau und bezeichnet den Komponisten dort als „Urvater des musikalischen Kabarett“, von dem er selber herkommt.
Der eigentliche Held dieses Abends ist Michael Quast selber, der mit einer so umwerfenden Virtuosität sich in diesen „Orpheus“ hineinwirft, dass man ihm so manchen Kalauer sofort verzeiht. So macht Operette Spaß - und so ist der schillernde Theaterenthusiast Jaques Offenbach neu zu entdecken.