Nach(t)kritik
Frauen sichtbar machen
Veranstaltung: Nahid Shahalimi: Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan (Ersatztermin)Sie sind Unternehmerinnen, Künstlerinnen, Politikerinnen, Journalistinnen. Und sie haben eines gemeinsam: sie müssen dafür kämpfen, sichtbar zu bleiben in der Gesellschaft, aus der sie stammen. „Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan“, lautet der Titel des aktuellen Buches von Nahid Shahalimi. Am Sonntagabend stellte die 1973 in Afghanistan geborene, in Kanada aufgewachsene und heute mit zwei Kindern in München lebende Künstlerin, Aktivistin und Autorin im Rahmen der Ausstellung „Afghanistan nach der Machtübernahme“ in der bar rosso ihr Buch vor. Dabei zog sie es vor, nciht zu lesen, sondern in einem kurzen Buchtrailer einige der im Buch zu Wort kommenden Frauen vorzustellen und anschließend nach einem kurzen Impulsreferat über die gegenwärtige Lage in Afghanistan vor allem mit dem trotz des warmen Sommerabends in guter Zahl anwesenden Publikum zu diskutieren.
„Wir können, im Jahr 2022, nicht zulassen, dass es ein Land gibt, in dem Mädchen nicht in die Schule dürfen“, lautete eines der Plädoyers von Shahalimi. Seit März diesen Jahres ist es Mädchen untersagt, am Bildungswesen teilhaben zu dürfen. Eine Antwort auf diesen Erlass ist ein Privatschul-Projekt, das Shahalimi gemeinsam mit anderen Aktivistinnen in Kabul unterstützt. Darin erhalten Mädchen aus demn ganzen Land eine Hebammen-Ausbildung mit dem Ziel, in möglichst allen afghanischen Provinzen medizinische Angebote für Frauen machen zu können. Vordergründig ist dies im Sinne der von den Taliban proklamierten Ideologie: schließlich dürfen Frauen sich nicht vor Männern entblößen, foglich müssen andere Frauen bei der Entbindung behilflich sein. „Und diese Aufgabe ist ja die einzige, welche die Taliban Frauen zugestehen: Kinder bekommen“, sagt Shahalimi. Der in seinem Wert nicht hoch genug einzuschätzende Nebeneffekt de Privatinstituts ist, dass die Mädchen hier neben der fachlichen Ausbildung auch Allgemeinbildung erfahren. So steht ihnen über eine Hintertür doch ein Bildungsinstitut offen.
Derlei Aktionen und Projekte gilt es zu unterstützen, und in diese Richtung zielten auch die zahlreichen Fragen. Unterstützung, vor allem finanzielle, ist nicht einfach, da das Bankwesen aufgrund von Sanktionen stark eingeschränkt ist. Zudem kommen viele Spendengelder nicht direkt bei den Hilfsprojekten an. Nahid Shahalimi bot an, sie persönlich zu kontaktieren, da sie mit zahlreichen NGOs im Land zusammenarbeitet. Sie alle stemmen sich mutig gegen das, was Shahalimi Gender Apartheid nennt: gegen die systematische Ausgrenzung von Frauen. Wie weit das seit der Machtübernahme durch die Taliban bereits vorangeschritten ist und wieviel in kultureller, aber auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht zerstört ist, zeigt das Beispiel der bis zum 15. August 2021 existierenden Datenbank der afghanischen Industrie- und Handelskammer für Frauen, AWCCI: darin waren mehr als 57.000 Unternehmen gelistet, die von Frauen geführt wurden. Allein diese Zahl belegt, dass afghanische Frauen wirtschaftliche Akteurinnen waren, die für zahlreiche Arbeitsplätze sorgten.
Eines offenbarte die Diskussion mit Nahid Shahalimi auch: Afghanistan ist ein Land, das sich nur schwer mit dem Blick durch die westliche Brille verstehen lässt. Allein die zahreichen verschiedenen Kulturen, Dialekte, Ethnien lassen es eigentlich kaum bis gar nicht auf einen Nenner bringen. Dennoch muss auch hier, so wie überall auf der Welt, gelten: Frauen haben dasselbe Recht auf Bildung, Selbst- und Mitbestimmung wie Männer. „Mein Ziel ist es, die mutigen Frauen in Afghanistan, ja: eigentlich alle Frauen dort sichtbar zu lachen“, lautet Nahid Shahalimis großes Anliegen. Es verdient unbedingte Unterstützung!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.