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Nach(t)kritik

Do, 09.11.2023
20.00 Uhr

Ganz gewiss nicht unterkomplex

Veranstaltung: Andreas Schaerer & Kalle Kalima: Evolution

Um dieses Konzert des Duos Andreas Schaerer & Kalle Kalima (Vocals und Gitarre) im Gautinger Bosco angemessen würdigen zu können, muss man sich ins Gedächtnis rufen, was Sänger Andreas Schaerer relativ zu Beginn des Abends in einer seiner charmanten Moderationen sagt: Die Musik, die die beiden im Rahmen ihres selbstkomponierten Programms „Evolution“ spielen, sei eine Art Erholung von den musikalisch komplexen Projekten, die sie zuletzt gestemmt haben. Auf den Auftritt zurückblickend, bringt einem das die Erkenntnis: Wenn „Evolution“ die vergleichsweise unterkomplexe Form dessen ist, was der Schweizer Andreas Schaerer und der finnische Gitarrist Kalle Kalima zuwege bringen, dann möchte man sich vor den komplexen Formen ihrer Kunst beinahe fürchten. Denn unterkomplex ist so ziemlich das unpassendste Wort, das man über „Evolution“ verlieren könnte.

Es ist hinreißend, welchen musikalischen Zauber die beiden erschaffen. Mit E-Gitarre und mit der menschlichen Stimme. Schaerer als Sänger zu bezeichnen, greift zu kurz. Sicherlich, er singt hervorragend, changiert farbig zwischen volltragender Brust- und Kopfstimme, lässt die Stimme frei zur Entfaltung kommen, wenn seine Ausdruckskraft sich ins Spirituelle oder Folkloristische aufschwingt; er verleiht ihr mitunter fast sakrale Kühle, lässt sie sinnieren, schweben, lodern und flüstern. Doch das ist bei weitem nicht alles. Zu seiner Vokalkunst gehört auch Vocal-Percussion, gehört das stimmliche Imitieren von Instrumenten. Gut, könnte man einwenden, das machen andere auch: Vocal-Percussion – vokaler Bass-Groove inklusive – haben viele A-Cappella-Gruppen im Repertoire. Und mit der menschlichen Stimme Instrumente nachzubilden, das haben die Comedian Harmonists schon auf knisternden Schellackplatten gemacht.

Bei Schaerer aber hat all das eine besondere Qualität. Nicht nur, dass einem bei ihm die ‚Instrumente‘ besonders lebendig erscheinen wollen (zumal er in ungekünsteltem gestischem Fluss auch die Spielbewegungen nachvollzieht). Nicht nur, dass der ‚instrumentale‘ Klangfarbenreichtum, der sogar Schalldämpfereffekte beim Trompetenspiel einschließt, in seinen Imitationen besonders facettenreich ist. Nein, was so verblüfft, ist: Schaerer lässt diese Ebenen einander manchmal derart dicht abwechseln, dass der Eindruck entsteht, sie würden sich überlagern und gleichzeitig erklingen. Gesang, Rhythmus, Instrumentalstimme. Umwerfend.

Die Gitarre erweitert diese Orchestrierung zusätzlich. Auch Kalima spielt sein Instrument so, dass es ein breites Spektrum abdeckt: vom Bassinstrument über bewegte Akkordmuster bis hin zu Flageolett-Oberstimmen und – bei einer der Zugaben – metallischen Repetitionen, wenn die Saiten mit einem dünnen Metallstab angeschlagen werden. Und in manchen Augenblicken darf es auch ein hart verzerrter Sound sein, darf die Gitarre zu einem mächtigen Schlagzeug-Beat von Schaerers Lippen echten Grunge-Sound verbreiten. Das ist ein hervorragender Kontrast, denn meistens begeben sich die beiden auf die Suche nach Eleganz und nach dezidiert ästhetischen Klängen.

In diesem Anspruch von klanglicher Anmut sind sich die Titel oft sehr ähnlich, auch im gewählten Grundtempo. Da die hierfür angewandten Ausdrucksmittel aber derart vielfältig sind, da fast nichts an diesen Songs simpel gestrickt ist (gewiss nicht die Rhythmik, definitiv nicht die Harmonik, schon gleich nicht die Melodik und die Texte) und da alles von Kalimas Fingern mit überlegener Übersicht und aus Schaerers Kehle mit sichtlicher Freude am eigenen Tun vorgetragen wird, trägt dieses Konzept eines elektrisch verstärkten Impressionismus (den man gar nicht so laut abmischen müsste, wie dies hier im Bosco geschieht) wunderbar über die gesamte Konzertdauer.

 

Andreas Pernpeintner, 10.11.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 09.11.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.