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Nach(t)kritik

Mo, 12.07.2021
20.00 Uhr

Gemetzel an der Isar

Veranstaltung: Wirtshausmannschaft: "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza in bairischer Sprache (Ersatztermin)

Dialekt auf dem Theater wird in der Regel dem Volkstheater zugeordnet, eher sogar noch dem Laienspiel, in unserer Gegend auch Bauerntheater genannt. Dass der Dialekt eine Figur oder ein bestimmtes Umfeld ausgezeichnet charakterisieren kann, wird seltener in Betracht gezogen. Seit einigen Jahren aber vollzieht sich hier ein Wandel. Dazu trägt nicht zuletzt die Musikszene bei, in der Bands wie Dreiviertelblut mit nachhaltigen Texten dafür sorgen, dass Dialekt auf der Bühne ernst genommen werden kann und wird. Und auch, wenn eine Theatertruppe sich Wirtshausmannschaft nennt, so muss das nicht unbedingt in die Nähe der mit diesem Namen so rasch assoziierten Bierdumpfheit führen - wie eben diese Wirtshausmannschaft im bosco gerade bewiesen hat.

Sie kamen mit Yazmina Rezas Erfolgsstück „Der Gott des Gemetzels“ - ein Werk, das den Theaterbesucher*innen durchaus vertraut ist; ein Gastspiel des Stückes im üblichen Hochdeutsch fand auch vor einigen Jahren im bosco statt, eine Verfilmung liegt ebenfalls vor. Nun also die Dialektfassung. Um es gleich vorwegzunehmen: es funktioniert ausgezeichnet. Regisseur Johannes Rieder siedelt die Geschichte um zwei Elternpaare der gebildeten, gut situierten oberen Mittelschicht im wohlhabenden München an, wo das Sprechen des gepflegten, eher dezenten Münchnerisch in solchen Kreisen durchaus zum guten Ton gehören kann. Und so lässt er hier eine in ihren gut eingeübten Gesellschaftsritualen sichtbar erstarrte Gruppe erkennen, für die ein Dialog dem Vorführen eines eingeübten Verständnisses dient - und dieses kann, soll der Dialekt als Empathieträger unterstreichen.

Das einladende Paar, Vroni und Micha, ist in der gesellschaftlichen Rangordnung eine Stufe tiefer: sie als frei arbeitende Autorin, er als selbständiger Großhändler von Eisenwaren führen eine eher bodenständige Existenz auf gutem Niveau. Ihrem Sohn wurden vom Sohn des anderen, exklusiveren Paares im Streit zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Um darüber in den Dialog zu kommen, sind Annette, Vermögensberaterin, und ihr Mann Alex, Rechtsanwalt mit aktuellem Mandat in einem Pharmaskandal-Fall, der Einladung von Vroni und Micha gefolgt. Während Ina Melings Annette mit ihrer auf Distanz bedachten, leicht zickigen Art für „bestes Bogenhausen“ steht, zeichnet Matthias Ransberger den Anwalt Alex als Münchner Society-Member, den man sich gut auch als Stammgast bei Schumann´s vorstellen kann. Cornelia von Fürstenberg ist als Veronika eine jener Münchnerinnen mit geisteswissenschaftlichem Studium, die man aus Elternbeiräten oder Bürgerinitiativen kennt, ihr Mann Micha fühlt sich beim Sonntagsweißbier auf der Neureut genauso wohl wie beim Kundengespräch in seinem Geschäft. Und so geht Yasmina Rezas Text ausgezeichnet auf, das Milieu der ihre Zivilisation allmählich verlierenden Eltern ist gerade durch den differenzierten Einsatz des Bairischen gut gezeichnet. Einzig die wohl als Erstarrtsein dieser Gesellschaft gedachten Pausen sin dein bisschen zu redundat und wirken daher eher mechanisch als überzeugend. Doch insgesamt ist es absolut glaubwürdig, dass der Gott des Gemetzels ein Münchner ist.

Sabine Zaplin, 12.07.2021


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.