Nach(t)kritik
Große Freiheit
Veranstaltung: Axel Pätz: RealipätztheorieDas Hamburger Abendblatt hat ihn mal als „satirischen Spätentwickler“ bezeichnet: Axel Pätz (63) ist offiziell erst seit 2008 als Solokünstler unterwegs, und man darf in seinem Fall genau wie bei hochrangiger Literatur getrost behaupten, da ist etwas sehr Besonderes gereift. Mit seinem Programm „Realipätztheorie“ wirft der als Kabarettist, Musiker und Komponist firmierende Wahl-Hamburger nämlich einen ganz eigenen Blick auf die Absurditäten der Welt, seine Mitstreiter sind Klavier und Akkordeon, er selbst nennt das folgerichtig „Tastenkabarett“. Im Grunde steht Pätz mit dieser Kunstform eher in der Tradition rabenschwarzer literarisch-politischer Liedermacher als in der Riege der wortlastigen Front-Entertainer, wenngleich seine Liedtexte geradezu Kästner´sches Niveau erreichen, etwa bei der Massenmörder-Beichte „Im Garten vergraben“: Nachdem zwischen Beet und Borke irgendwann alles voll ist mit gemeuchelten Frauen, kommt der Serientäter fröhlich singend zu dem Schluss, dass er wohl demnächst wie jeder andere auch seine „Leiche im Keller“ haben werde.
Inspirationsquelle solchen Liedguts bzw. Auslöser der Pätz´schen Theorien und „Axeliome“ ist der Super-GAU des modernen Menschen – das Smartphone ist ihm ins Klo gefallen. „Display, Akku, Simcard – alles tot!“, berichtet der Homo ludens und nutzt die Chance sogleich für ganz andere Wiederbelebungen, zum Beispiel die ganz großen Fragen: Gibt es die universelle Weltformel? Wieviel Zeitersparnis bringt ein monströser Kaffeeautomat, der drei Tage Installation erfordert? Souverän pendelt Pätz zwischen der hohen Philosophen-Schule und dem Beschreiben der eigenen Unzulänglichkeiten, zwischen „Kant´schem Konjunktiv“ und der (abermals besungenen) Erkenntnis, dass sich der Axel einfach „keine Namen merken“ kann. Der Künstler redet fortan die Damen und Herren im Publikum ausnahmslos mit „Andrea“ und „Gerd“ an – der Einfachheit halber, die Präsenilität hat ja auch ihr Gutes. Man muss zum Beispiel bei politischen Korrektheiten nicht mehr mitmachen, darf „Earth Bashing“ betreiben und poltern, dass die Erde „´ne faule Sau“ ist, sich seit 13,5 Milliarden Jahren „nur die Sonne auf den Äquator scheinen lässt“ und ansonsten wenig Konstruktives beiträgt.
Axel Pätz lässt dennoch keinen Zweifel daran, wie ernüchtert er die Welt sieht, und das verpackt er wiederum in vielen großartigen Liedern wie „Eine Insel so schön“: Vorgetragen zur Melodie der „Caprifischer“, sehnsuchtsvoll wie ein Akkordeon spielender Hans Albers in „Große Freiheit Nr.7“, wird einem da der Plastikmüll der Meere vor die Haustür gekehrt – in der Spannung zwischen musikalisch-romantischer Form und desillusionierter Botschaft ist diese „Insel“ ein großer Wurf. Und Pätz schafft es sogar, die stilisierte Grundhaltung der (ihm vermutlich nicht gänzlich wesensfremden) Depressiven ironisch aufs Korn zu nehmen („So feiern die Depressiven“) - denn „Schubladen“ jedweder Art, ein weiterer Song-Titel, sind ihm nun mal suspekt. Tabus sowieso: Die gestenreich verab-reichte Nummer „Rollator“, musikalisch offenbar angelehnt an einen erotisch schmachtenden Italo-Schlager, wäre auch vom Text her ein Glanzstück der Verkaufswerbung. Der Kollege Josef Hader hätte registiert: „Warmer Senioren-Applaus, durchsetzt von herabfallenden Krücken“.
So geht das knapp zwei Stunden lang auf höchst unterhaltsame Weise. Mit klugen Er-Kenntnissen wie dem „Raum-Zeit-Axeliom“, wonach „die Zeit, die man aufwendet, um Zeit zu sparen, sich umgekehrt proportional verhält zur eingesparten Zeit“; mit dem am Klavier inszenierten Be-Kenntnis des Künstlers, dass ihm die Tugend der Geduld fehle; mit einem als Zugabe kredenzten Lied über die eigene Tochter, die in der geistig umnachteten Pubertätsphase immer nur den Rat „Chill mal!“ für die genervten Eltern parat hatte – schöne Pointe: Als das Töchterchen erwachsen ist und in eine eigene Wohnung gezogen ist, kommt die flächendeckend destruktive Retourkutsche der Alten samt deren Chaoten-Freunden. Pätz wird im Bosco zu Recht gefeiert für derlei charmante Geschichten des Scheiterns und gibt zurück: „Für´n Abo-Publikum sind Sie ganz gut drauf!“ Man wünscht sich, dass der Hamburger öfter mal den Weg in den unverstandenen Süden der Republik findet, vor allem den nach Gauting. Vorher bitte das Handy ins Klo werfen!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.