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Nach(t)kritik

Fr, 01.07.2022
20.00 Uhr

Gute Arbeit

Veranstaltung: Schauspiel Frankfurt: „Alles ist groß“ von Zsuzsa Bánk

„Ich bin Grabmacher. Es ist eine gute Arbeit.“ Der Mann, der sich da dem Publikum vorstellt und einen einstündigen Monolog über sein Wirken hält, ist etwa Mitte 30 und eher dem Leben zugewandt als den Toten. Die gefeierte Romanautorin Zsuzsa Bánk hat diese bemerkenswert vitale Figur für ihr erstes Theaterstück „Alles ist groß“ ersonnen, das in der Reihe „Stimmen einer Stadt“ des Schauspiels Frankfurt die neunte und letzte Folge einnimmt – ein fulminantes Sprachsolo für den Protagonisten Nils Kreutinger und eine kompakte Inszenierung des Regisseurs Kornelius Eich, dessen schnörkellose Sozialarbeiter-Handschrift hier ebenso zur Geltung kommt wie Bánks feine Formulierungskunst.

Das Schöne: Im „Arbeitsbericht“ und der Figur dieses Grabmachers bündeln sich nicht nur die gesamten praktisch-technischen Aspekte des Bestattungswesens, es kommen auch die oft tabubehafteten Begleitumstände zur Sprache: Gestorben wird immer, getrauert auch. Im Grunde finden mehr oder weniger würdevoll inszenierte Entsorgungsvorgänge statt, bei denen sich die Hinterbliebenen darum bemühen, eine möglichst korrekte Figur abzugeben – der Grabmacher protokolliert sachlich: „Heute ist Urne.“ Früher habe seine Tätigkeit „Totengräber“ geheißen, aber dann habe die neue Wortschöpfung des „Grabmachers“ die Totensilbe verdrängt und den „Macher“ nach vorne gestellt – auch dies ein Akt der subtilen Verdrängung: Das mit dem Tod wollen wir gar nicht so genau wissen, oder?

Eichs Inszenierung des Zsuzsa-Bánk-Texts holt sich als Stichwortgeber für die Nachdenklichkeiten seines Solisten immer wieder auch eingespielte Songzeilen wie etwa die aus Neil Youngs „Heart of Gold“: „I want to live / I want to give / I ´ve been a miner for a heart of gold (. . . ) and I´m getting old…“ Der Grabmacher wundert sich, dass immer nur Menschen voller Witz und Charme unter die Erde gebracht werden, glaubt man all den Grabreden – müsste die Welt zu deren Lebzeiten nicht heiterer ausgesehen haben? „Ja, ja, über die Toten nichts Schlechtes!“ Es ist seine pragmatische Sichtweise, sein „Vermessen“ der Arbeit auf dem Frankfurter Friedhof Heiligenstock, die die Dinge so wohltuend relativiert: Die immer gleichen Schritte und Wege zum Grab, die Dimensionen des Erdaushubs, die zeitlichen Abläufe. Der Grabmacher selbst? So gut wie unsichtbar. „Es ist eine stille Arbeit“, sagt er zwischendurch. Die Trauergemeinde? Manchmal nur wenige, und keiner weint; manchmal 150 Leute, und alle weinen. „In den Menschen ist Bodenfrost“, hat er beobachtet und schildert nebenbei eine Portion Frankfurter Urbanität. Der Müll, die Stadt und der Tod sozusagen. Witwer und Witwen, Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Ex-Geliebte. „Kein Toter ist so viel begraben wie erloschene Leidenschaft“, sinniert der Sachwalter. Am liebsten würde er ausbrechen aus all der Grabesstimmung, der ganzen Routine: „Reißt doch mal die Fenster auf, möchte ich rufen, lasst doch mal die Sonne rein!“

Der Grabmacher hält sich an seinen festgefügten Tagesablauf, und genau damit ist er gefeit gegen das Hinabgezogen werden durch abendländischer Trauerrituale. Nils Kreutinger ist für diesen „Job“ auf der Bühne ideal besetzt: Jung und physisch genug, sich gegen das Gewese und Verwesen auf seinem Friedhof zu behaupten, reif und diszipliniert genug, um nicht despektierlich zu wirken. Und Autorin Bánk hat ihm sogar subtilen Humor mitgegeben, ergänzt um den Regie-Einfall, „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival einzuspielen, wenn´s ums Mystische des Themas geht. Alles ist groß, wenn man nur will. Doch nein, jedwede Überhöhungen von Tod und Sterben sind hier fehl am Platze. Das Bühnenbild (Philip Bußmann), eine schlichte hölzerne Innenwand, die von links oben nach rechts unten hin perspektivisch zuläuft und nichts verbirgt, es scheint dem Zuschauer sagen zu wollen: Es läuft sowieso nur auf das Eine hinaus, also was soll das Theater?

Am Ende gestattet sich die Inszenierung eine Art Hoffnungsmoment in Form von Tracey Chapman´s Baby Can I Hold You – dazu kommt eine junge Frau zum einsamen Grabmacher auf die Bühne, setzt sich ans Klavier und spielt. Und der singt, wie ein Geretteter. Das kann man nun überflüssig finden wie die Kritikerin der „Süddeutschen Zeitung“ oder aber anrührend. Hat uns die Sehnsucht nach Erlösung also doch noch überrumpelt! Eine wunderbare Vorführung der Mechanismen, wenn individuelle Gefühle auf die Raison des Kollektiven treffen. So wie neulich auf dem Friedhof.

Thomas Lochte, 01.07.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.