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Nach(t)kritik

Di, 31.05.2022
20.00 Uhr

Hamletabenteuer. Eine Tragikomödie

Veranstaltung: Klaus Pohl: Sein oder Nichtsein (Ersatztermin)

Nichts ist - für ein so theateraffines Publikum wie das des bosco zumal - unterhaltsamer als ein fundierter Blick hinter die Kulissen. Dabei sein oder nicht sein, ist da gewissermaßen die entscheidende Frage. Schauspieler und Dramatiker Klaus Pohl ließ sie am Dienstagabend dabei sein, als er ein paar Auszüge seines zunächst als Hörbuch und dann auch in gedruckter Ausgabe erschienenes Buch „Sein oder Nichtsein“ vortrug. Besser gesagt: Klaus Pohl spielte all das, was sich während der Proben zu Peter Zadeks „Hamlet“-Inszenierung im Jahr 1999 für die Wiener Festwochen zutrug. Nach Zadeks legendärem Bochumer „Hamlet“, der 22 Jahre zuvor Premiere feierte, mit dem dafür frenetisch gefeierten Ulrich Wildgruber in der Titelrolle, hatte der Regisseur sich noch einmal daran gemacht, Shakespeares Drama auf das hin abzuklopfen, was ihm, Peter Zadek, daran auffiel, begeisterte, interessierte. Dafür hatte er sich ein von ihm handverlesenes Ensemble zusammengestellt und nach der ihm eigenen Theorie, dass die zwischen den Schauspielerinnen und Schauspielern entstehende Dynamik erst das einem Drama innewohnende Feuer entfachen kann, besetzt. So kam es, dass beinahe ein Vierteljahrhundert nach Bochum Ulrich Wildgruber die Rolle des alten Polonius bekam und ihm mit Angela Winkler ein vollkommen anderer Hamlet gegenüberbesetzt wurde als er ihn einst verkörpert hatte. Allein diese Konstellation bietet genügend Stoff für zahlreiche Dramen und wird zum roten Faden in Klaus Pohls Probenroman. Pohl selber steht als Horatio wie ein Beobachter auf, hinter und neben der Bühne und nimmt seine Leserinnen und Leser mit, von der ersten Leseprobe in Zadeks Straßburger Wohnung über nächtliche Kneipenexzesse, Wutausbrüche des Regisseurs im Probendomizil bis hin zu portraitgenauen Szenen der einzelnen Ensemblemitglieder. Dabei entsteht im Schreiben - und Lesen - das Panorama eines von der Idee über die Auseinandersetzung bis zur Vollendung wachsenden Kunstwerks.

Dass Klaus Pohl ein exzellenter Erzähler ist, beweist er mit den ausgewählten Passagen. Wie er die Ankunft des damals des Lebens eigentlich schon überdrüssigen, müden Ulrich Wildgruber in dem von ihm bewusst gewählten Gasthof in Kehl, auf der anderen Rheinseite, schildert, lässt ahnen, dass das Abenteuer „Hamlet“ voller Gefahren sein wird. Das bestätigt sich bereits bei der ersten Probe, für die Peter Zadek sofort „das ganze Stück im Ablauf“ angesetzt hatte und die doch bereits an der falschen Farbe der Wände im Raum scheiterte. Alle bekamen drei Tage „farbfrei“, damit der Bühnenmeister Abhilfe schaffen konnte, und Zadek gab Angela Winkler mit auf den Weg, sie möge die Tage gut und möglichst ausschließlich an der Seite der Souffleuse zum Textlernen nutzen. Er wusste natürlich darum, wie schwer sich die Winkler mit der Aneignung umfangreicher Textpassagen - und vor allem mit der Rolle des Hamlet in Gegenwart des geschätzten und degradierten Kollegen Wildgruber - tat. Wie Klaus Pohl seinen gemeinsamen Spaziergang mit Angela Winkler durch die Straßburger Gassen schildert und ihre Auslassungen über diese Besetzungstaktik, wie er in einer späteren Szene davon erzählt, was am Kneipentisch nach der Probe zwischen Wildgruber und Winkler geschah und wie die Prophezeiung des genialen Zadek, „Wer den Hamlet spielen will, ist schon mal falsch besetzt,“ im Kampf um und gegen die Rolle aufging - das alles ist allerfeinste Beobachtung und Verarbeitung zu Literatur, die Klaus Pohl wiederum hinreissend vorträgt. „Ist dieses Buch ein Theaterroman? Natürlich, aber weit mehr!“, hat der Schauspieler und ebenfalls vom Theaterberuf Erzählende Joachim Meyerhoff überKlaus Pohls „Sein oder Nichtsein“ gesagt, „ist dieses Buch ein Liebesroman? Auch das. Ist dieses Buch ein Tagebuch, eine Komödie, eine Tragödie? All das.“ Und als Lesung vom Autor ist es zudem ein Bühnenerlebnis von hohem Unterhaltungswert.

Sabine Zaplin, 01.06.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 31.05.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.