Nach(t)kritik
Herbe Töne
Veranstaltung: Franziska Hölscher, Violine & Severin von Eckardstein, Klavier: Bach, Prokofjew, Weinberg und BrahmsDie Geigerin Franziska Hölscher und Severin von Eckardstein hätten es sich wahrlich einfacher machen können. Doch sie wollten es wissen, begannen mit Bach, forderten sich und das Publikum mit Sergej Prokofjew und herbem Mieczysław Weinberg, bevor nach der Pause sicher viele im Publikum mit der ersten Brahms-Sonate endlich aufatmen konnten.
Zu Beginn also die Violinsonate BWV 1017, die, wie Bach überhaupt, im Konzert selten gespielt wird. Vor allem das einleitende Siciliano mögen vor allem Filmregisseure allerdings sehr. Also war der Wiedererkennungseffekt groß und Franziska Hölscher wagte viel historisch informiertes Geigenspiel und damit Nonvibrato. Doch weil dadurch jede noch so kleine Intonationstrübung hörbar wird, gab es hier und den in folgenden drei Sätzen neben schönen Momenten, vor allem im zweiten langsamen Satz, auch immer wieder einen kleinen Schreckmoment. Severin von Eckardstein war dazu der souverän und glasklar artikulierende Mann am Tasteninstrument, der es fast so gradlinig und neutral klingen ließ wie ein Cembalo.
Sergej Prokofjews Fünf Melodien op. 35a, komponiert zwischen 1920 und 1925, sind janusköpfig wie fast alle Musik dieses Komponisten: Harmonisch herb, aber oft mit momentweise aufglühender intensiver Melodik. Schön schräg klingt das bei durchweg gemäßigten Tempi und das teilweise geforderte Flageolett tönte so gläsern kalt, wie das nicht anders sein darf. Trotzdem wollte keine rechte Spannung aufkommen, fehlte oft die Intensität und durchgehend ein Ton, der manchmal selbst bei dieser Musik auch schön sein darf. Denn gerade Dissonanzen klingen nur dann wirklich, wenn sie lupenrein gespielt werden.
Zu diesen Liedern ohne Worte passte Mieczysław Weinbergs vierte Sonate für Violine und Klavier von 1947 perfekt. Sie entstand nach den ersten beiden von 1943/44 und gleichzeitig mit der dritten. In dieser Musik hallt immer wieder in schmerzlich aufgewühlten Adagio-Passagen rund um ein grimmiges Scherzo der Zweite Weltkrieg nach. Wenn an zwei Stellen, auch ganz am Ende, das Klavier nur ein paar perkussive Töne anschlägt und die Violine fast verstummt, es also keine Melodie, keinen Rhythmus, keine Harmonie mehr gibt, dann klingt das wie der Hauch des Todes. Wie anders wirkte da der ausführliche, ruhige und doch expressive Beginn des Klaviers. Er ruhte bei Severin von Eckardstein so selbstvergessen in sich, dass der Einsatz der Geige fast überraschte.
Auch wenn G-Dur, die Haupttonart der ersten Geigen-Sonate von Johannes Brahms, lichte Gefilde verspricht und der langsame Satz gar in Es-Dur steht, weht durch das ganze Werk wie so oft bei diesem Hamburger Komponisten tiefer Ernst und Melancholie. Da braucht man gar nicht biografische Bezüge zu bemühen, etwa den, dass nach dem Besuch von Felix Schumann, der todkrank in Palermo seine Tuberkulose auskurieren wollte, Brahms seiner Mutter Clara den Beginn des langsamen Satzes auf einem Albumblatt schickte. Immer wieder gab es hier wunderbare Momente tiefer Empfindung im Zusammenspiel zwischen Geigerin und Pianist neben Takten, in denen erneut die Präzision von Artikulation und Tongebung nicht ganz hinreichte. Vielleicht war da nicht zuletzt eine gute Portion Nervosität im Spiel angesichts der Mikrophone des Bayerischen Rundfunks, der den Abend mitschnitt.
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