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Nach(t)kritik

Di, 21.11.2023
19.00 Uhr

„Hört ihr das Gras wachsen?“

Veranstaltung: Priscillia Grubo: Breadwinners

Beim Betreten des Theaterforums fällt der Blick sofort auf eine Fotografie am oberen Ende der Treppe. Das Bild zeigt eine lederne Handtasche auf einem grünen Polstersessel. Die Handtasche ist bis zum Rand mit Brötchen gefüllt, scheint fast überzuquellen. Einen passenderen Einstieg in die Ausstellung „Breadwinners“ der französischen Fotografin Priscillia Grubo hätte man nicht finden können. In ihren Fotos porträtiert die in München lebende und arbeitende Künstlerin Frauen, die innerhalb ihrer Beziehungen mehr verdienen oder verdient haben als ihre männlichen Partner. Die Idee kam der Künstlerin, die sich innerhalb ihres Schaffens stets auch mit ihrer eigenen Identität als Schwarze Frau auseinandersetzt, als sie auf eine Studie stieß, die zu dem Ergebnis kam, dass Beziehungen, in denen die weibliche Partnerin mehr als der männliche Partner verdient, für diese oft unglücklicher verlaufen als in den klassischen Rollenbildern unterworfenen Beziehungen. Aus Neugier und Frust wurde also die Idee zur Fotoreihe geboren, so Priscillia Grubo, die in ihrer Arbeit schnell darauf stieß, dass Geld gar nicht unbedingt der Grund sondern mehr eine Ausrede für die unglücklichen Erfahrungen innerhalb der untersuchten Beziehungen ist; vielmehr sind die zugrundeliegenden Probleme gesellschaftlich konstruierte, wie beispielsweise die Frage nach der Übernahme von Carework, dem nach wie vor bestehenden Gender Pay Gap und natürlich überholten Geschlechterrollen in intersektionalen Kontexten an sich.

In ihren Fotos nähert sich Priscillia Grubo dabei dem Thema von zwei Richtungen aus an, zum einen werden die Frauen klassisch porträtiert, blicken einen durch die Ausstellung an, werden von der Künstlerin als selbstermächtigt dargestellt. Auf der anderen Seite werden viele Fotografien gezeigt, die sich dem Thema erzählerisch und in Objekten künstlerisch annähern, mit zugrundeliegenden Klischees spielen, diese aufbrechen und hinterfragen und sich auf die Suche nach dem Grund machen, warum Beziehungen unglücklicher sind, in denen die Frau mehr verdient als ihr männlicher Partner.

Begleitet wird die Ausstellungseröffnung durch eine Lecture-Performance, die sich mit dem Thema der weiblichen Altersarmut auseinandersetzt, sich also ebenfalls mit der Rolle von weiblich gelesenen Personen als Leidtragende von gesellschaftlich konstruierten Geschlechterrollen beschäftigt und damit weiterhin Geld im Kontext weiblicher Erfahrungswerte betrachtet und hinterfragt. Dargeboten wird die Performance von den Sprecherinnen Alexandra Rau, Sara van der Weck und Shirli Volk, performativ begleitet von der Künstlerin Maria Berauer. Die drei Sprecherinnen tragen in drei Akte unterteilt drei Geschichten von Betroffenen vor, die sich fragmentarisch aus Interviewausschnitten der drei dargestellten Personen zusammensetzen. Dabei werden anhand der unterschiedlichen und individuellen Erfahrungen drei übergeordnete Themenbereiche offenbart, die dem Erleben weiblicher Altersarmut zugrundeliegen. Der ersten Akt betrachtet das Scham- und Schuldgefühl und erzählt von einer unverheirateten Frau, der nach 40 Jahren Arbeit und dem Einzahlen in die Rentenkasse kaum genug Rente zum Leben bleibt und die nun nach dem lebenslangen Kampf gegen ein System, dass sie stets unterdrückt hat, von genau diesem System abhängig ist und sich innerhalb dieser Ambivalenz selbst die Schuld an ihrer Armut gibt. Im zweiten Akt wird das Minderwertigkeitsgefühl und die Einsamkeit thematisiert, wir erfahren im vorgetragenen Text von einer alleinerziehenden Frau, die sich nach einer plötzlichen Kündigung mit dem Verkauf von Zeitungen über Wasser halten musste - eine gesellschaftlich so stigmatisierte Beschäftigung, dass sich das Stigma auf sie selbst übertrug und die anfängliche Nebentätigkeit zur einzigen Möglichkeit auf Arbeit wurde, wodurch sie aus ihrer Heimatstadt aufgrund der hohen Mieten wegziehen musste und damit in ihrem Gefühl, nichts wert zu sein, bestätigt wurde. Der letzte Akt erzählt von der absoluten Selbstaufgabe und beschäftigt sich mit der Geschichte einer Frau, die ihr eigenes Leben stets unter die ihr sozial zugeschriebene und gesellschaftlich aufgebaute Mutterrolle stellte und sich und ihr Leben völlig der Frage unterwarf, möglichst keine Last für ihre eigenen Kinder werden zu wollen und bloß keine Schulden zu hinterlassen, was sie selbst, ungeahnt von der eigenen Familie, immer weiter in die Armut rutschen ließ.

Während die Texte aus den Interviews vorgetragen werden, sitzt die Performerin Maria Berauer anfangs dabei, sie ist unter ein riesiges Bettlaken gehüllt, ein Gespenst der Unsichtbarmachung des hier behandelten Themas. Nach und nach befreit sie sich das Laken von innen mit einer Schere zerschneidend aus demselben und macht sich aktiv sichtbar, auch wenn dies von einer anfangs kämpferischen Pose mehr und mehr am Boden kauernd und kriechend passiert. In einem letzten Akt des Aufbegehrens aber reißt sie das Laken in Stücke und verteilt diese wieder aufrecht gehend im Raum. Auf ihrer Brust steht in großen Buchstaben ‚selbst schuld‘, wie eine Kennzeichnung. Nun aber zieht sie sich ihre Schuhe aus und eine Jacke an, schminkt sich und beginnt im letzten Akt der Performance unzählige Luftballons aufzublasen, aus welchen sie eine Girlande bastelt, die sie durch den Raum gespannt aufhängt. Am Ende nach all den Texten wird es dunkel, Maria Berauer zündet eine Wunderkerze an, deren Funken die einzige Lichtquelle im dunklen Raum werden. Es ist ein kämpferischer und hoffnungsvoller Moment, der zurückbleibt und die Sichtbarmachung dieser sonst vom System beschämten, beschuldigten und stumm gemachten Identitäten unterstreicht.

Ein eindrucksvoller Abend eröffnet die nicht weniger eindrucksvolle Ausstellung der Künstlerin Priscillia Grubo, die sich auf gekonnte visuelle Art und Weise mit einem so aktuellen Thema auseinandersetzt, wichtige Fragen aufwirft und den Beginn des neuen Themenschwerpunktes "Geld & Gleichstellung“ markiert. Sehr schade, dass diesem beeindruckenden Abend nur so wenig Menschen beiwohnten.

Amos Ostermeier, 22.11.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 21.11.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.