Nach(t)kritik
Hosendiebe und Leiterkasperl
Veranstaltung: Rosemarie Zacher & Sibylle Sommer: Schlüsselerlebnisse 2 - Ein Musée Sentimental für GautingJeder Ort, jede Stadt, jedes Dorf besteht nicht in erster Linie aus Häusern, Straßen und Plätzen, nicht aus versiegelter Fläche und gemauerten Bauten, sondern aus den Geschichten, die darunter liegen. Sie sind das Netz, das den Ort trägt. In Gauting ist das nicht anders, im Gegenteil. In Gauting liegen all die Geschichten, welche die Gartenpforten und Haustüren miteinander verknüpfen, gleichsam in der Luft. Man muss nur die Ohren spitzen, dann kann man sie hören. Sehen kann man sie von heute an vier Wochen lang, bis zum 18. Dezember, im Musée Sentimental, einem kleinen Museum auf Zeit, das im bosco seine Zelte aufgeschlagen hat und den Titel „Schlüsselerlebnisse“ trägt. Bereits im vergangenen Jahr waren die „Schlüsselerlebnisse“ eine gewisse Zeit lang im boschetto zu sehen. Nun sind sie wieder da und um noch einmal so viele neue Exponate und deren Geschichten ergänzt.
Die Gautingerinnen Rosemarie Zacher und Sibylle Sommer haben sich auf Spurensuche begeben, sind den Geschichten nachgegangen und haben die Erinnerungstücke, die im Zentrum dieser Geschichten stehen, zusammengetragen. Die Kasperlpuppe beispielsweise, die auf einer Leiter sitzt und die Besucher anstrahlt. „Kasperlpuppe mit sächsischem Akzent, Unikat, vor 1970“, steht auf dem Archivschildchen, das am Fuß der Puppe baumelt. Der Kasperl gehört Thea Schulze, ganzen Generationen Gautinger Kinder (und gewesener Kinder)als Tante Thea bekannt, der langjährigen Leiterin des Evangelischen Kindergartens. „Der kleine Holger hier in Gauting sagte immer zu mir: „Tante Thea, das ist so schön, wenn Du schimpfst.“ Das lag vermutlich an meinem sächsischen Dialekt. Meine selbstgemachte Kasperlfigur sächselte natürlich auch und an diesen Kasperl erinnern sich viele längst erwachsene Kindergartenkinder noch heute.“
Oder die kurze Sommerjeans, die schon beim Anblick Assoziationen an Schwimmbadsommer weckt. Sie gehört dem Gautinger Buchhändler Marc Schürhoff, und die dazugehörende Geschichte hat vor allem mit dem nächtlichen Verschwinden dieser Hose auf dem Gelände des Sommerbades zu tun: „Einmal stiegen wir über den Holzzaun, zogen uns in der Dunkelheit nackt aus und sprangen ins Wasser. Dass wir im Gelände nicht allein waren, bemerkten wir erst, als wir uns wieder anziehen wollten, denn unsere Klamotten waren von anderen Jugendlichen geklaut worden.“ Zum großen Pech der nächtlichen Nacktbader tauchte dann auch noch die Polizei auf, die allerdings keine Personalien aufnehmen konnte, da man ja bekanntlich einem nackten Menschen nicht in die Tasche greifen kann.
So reiht sich Geschichte an Geschichte, und wie von einem unsichtbaren Autor erzählt oder von dem sprichwörtlich roten Faden geleitet (der sich auch durch den wunderschön gestalteten Ausstellungskatalog zieht), ergeben sich zwischen den einzelnen Vitrinen der Ausstellung Zusammenhänge. Wenn zwei Freundinnen sich an ihre Kindergärtnerin (natürlich Tante Thea) erinnern oder Marc Schürhoff bei dem damaligen Bürgermeister Ekkehard Knobloch antreten musste, dessen Fussballschuhe ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind, dann entsteht jenes Netz, das im Treppenhaus des bosco aus vielen roten Fäden geknüpft von der Decke schwebt. Unter diesem Fadennetz lädt ein gemütlicher Sessel den Ausstellungsbesucher dazu ein, auf den bereitliegenden Kärtchen seine ganz persönliche Gauting-Erinnerung zu erzählen.
„Kultur“, sagt Norbert Göttler, Schriftsteller und Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, „manifestiert sich in allen Künsten und Handwerken, aber auch in der Weise, mit welcher Liebe und Kreativität Häuser gebaut und saniert, Gärten und Landschaften gepflegt, Kinder erzogen und Feste gefeiert werden.“ Die Lebensqualität hierzulande hänge von genau so einer „Kultur des Alltags“ ab. In den „Schlüsserlebnissen“ kann nachvollzogen werden, wie geschichtsstiftend diese Kultur des Alltags ist.
Die Gautingerinnen Rosemarie Zacher und Sibylle Sommer haben sich auf Spurensuche begeben, sind den Geschichten nachgegangen und haben die Erinnerungstücke, die im Zentrum dieser Geschichten stehen, zusammengetragen. Die Kasperlpuppe beispielsweise, die auf einer Leiter sitzt und die Besucher anstrahlt. „Kasperlpuppe mit sächsischem Akzent, Unikat, vor 1970“, steht auf dem Archivschildchen, das am Fuß der Puppe baumelt. Der Kasperl gehört Thea Schulze, ganzen Generationen Gautinger Kinder (und gewesener Kinder)als Tante Thea bekannt, der langjährigen Leiterin des Evangelischen Kindergartens. „Der kleine Holger hier in Gauting sagte immer zu mir: „Tante Thea, das ist so schön, wenn Du schimpfst.“ Das lag vermutlich an meinem sächsischen Dialekt. Meine selbstgemachte Kasperlfigur sächselte natürlich auch und an diesen Kasperl erinnern sich viele längst erwachsene Kindergartenkinder noch heute.“
Oder die kurze Sommerjeans, die schon beim Anblick Assoziationen an Schwimmbadsommer weckt. Sie gehört dem Gautinger Buchhändler Marc Schürhoff, und die dazugehörende Geschichte hat vor allem mit dem nächtlichen Verschwinden dieser Hose auf dem Gelände des Sommerbades zu tun: „Einmal stiegen wir über den Holzzaun, zogen uns in der Dunkelheit nackt aus und sprangen ins Wasser. Dass wir im Gelände nicht allein waren, bemerkten wir erst, als wir uns wieder anziehen wollten, denn unsere Klamotten waren von anderen Jugendlichen geklaut worden.“ Zum großen Pech der nächtlichen Nacktbader tauchte dann auch noch die Polizei auf, die allerdings keine Personalien aufnehmen konnte, da man ja bekanntlich einem nackten Menschen nicht in die Tasche greifen kann.
So reiht sich Geschichte an Geschichte, und wie von einem unsichtbaren Autor erzählt oder von dem sprichwörtlich roten Faden geleitet (der sich auch durch den wunderschön gestalteten Ausstellungskatalog zieht), ergeben sich zwischen den einzelnen Vitrinen der Ausstellung Zusammenhänge. Wenn zwei Freundinnen sich an ihre Kindergärtnerin (natürlich Tante Thea) erinnern oder Marc Schürhoff bei dem damaligen Bürgermeister Ekkehard Knobloch antreten musste, dessen Fussballschuhe ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind, dann entsteht jenes Netz, das im Treppenhaus des bosco aus vielen roten Fäden geknüpft von der Decke schwebt. Unter diesem Fadennetz lädt ein gemütlicher Sessel den Ausstellungsbesucher dazu ein, auf den bereitliegenden Kärtchen seine ganz persönliche Gauting-Erinnerung zu erzählen.
„Kultur“, sagt Norbert Göttler, Schriftsteller und Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, „manifestiert sich in allen Künsten und Handwerken, aber auch in der Weise, mit welcher Liebe und Kreativität Häuser gebaut und saniert, Gärten und Landschaften gepflegt, Kinder erzogen und Feste gefeiert werden.“ Die Lebensqualität hierzulande hänge von genau so einer „Kultur des Alltags“ ab. In den „Schlüsserlebnissen“ kann nachvollzogen werden, wie geschichtsstiftend diese Kultur des Alltags ist.
Sabine Zaplin, 13.11.2015
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.