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Nach(t)kritik

So, 20.09.2020
20.00 Uhr

Inbrunst jüdischen Gesangs

Veranstaltung: Edgar Moreau, Violoncello & David Kadouch, Klavier: Mendelssohn und Bruch

Endlich wieder ein Klassikforum-Konzert! Dieser Gedanke war hier deutlich präsent, wenn auch unausgesprochen. Die lockere Verteilung des zahlenmäßig reduzierten Publikums tat der Konzertatmosphäre keinen Abbruch. Der Akustik hingegen schon. Wer hier das Cello als allzu dominant empfand, möge dies berücksichtigen. Das war insofern etwas unglücklich, da gerade für Mendelssohn sein Instrument, das Klavier, als die tragende Stimme in diesen Cellosonaten wahrnehmbar sein sollte. „Zudem ist ein ganz bedeutender und mir sehr lieber Zweig der Claviermusik, Trios, Quartetten und andere Sachen mit Begleitung, so die rechte Kammermusik, jetzt ganz vergessen und das Bedürfniß, mal was Neues darin zu haben, ist mir gar zu groß. Da möchte ich auch gern etwas dazu thun“, schrieb er 1838 an seinen Freund und Komponistenkollegen Ferdinand Hiller kurz bevor er die B-Dur-Cellosonate op. 45 ersann.
„Claviermusik“ also, in der sich allerdings das Cello gut zu behaupten weiß, wie Edgar Moreau bewies. Aber David Kadouch dachte am Flügel auch gar nicht daran, hier fulminant aufzutreten, wie es einst offenbar Felix Mendelssohn wohl selbst tat. Kadouchs non legato perlte schlank und ganz leggiero, er zog dichte Linien erst dann, wenn die Melodiestimme zu übernehmen war. Aber da gab es auch die dramatischeren Momente, in denen ein ordentliches Zupacken und mit großen Akkorden Protzen ausdrücklich gewollt war und von Kadouch auch keinesfalls vernachlässigt wurde. Kurzum: Der pianistische Part hatte von Mendelssohn mehr gestalterische Mittel auf den Weg bekommen als das Cello, das vor allem im Sinne der Lieder ohne Worte weite melodische Linien zu ziehen hatte. Moreau tat das mit Leidenschaft und satter Substanz, die er bei jedem Ton formschön zu modellieren vermochte.
Man könnte denken, Mendelssohn hätte im jugendlichen Übermut den Klavierpart seiner ersten Cellosonate so virtuos ausgestattet. Doch die fünf Jahre später entstandene, reifere Cellosonate D-Dur op. 58 sah auch keinen bescheideneren Klavieranteil vor. Ausgewogener wurde der instrumentale Satz dennoch, allerdings nun mit einem bravourösen und forscheren Cellopart. Und das französische Duo Moreau und Kadouch nahm das Angebot beherzt an und wirbelte in den schnellen Sätzen, vor allem im Schlusssatz, schon ordentlich herum. Aber Mendelssohn verstand auch, seine Hörer zu verzaubern. Seine Elfen des Sommernachtstraums waren hier vor allem im Allegretto scherzando unterwegs, die Moreau und Kadouch mit viel Fingerspitzengefühl in ein legendenhaftes Gewand kleideten.
Die langsamen Passagen und Sätze sprachen aber eine andere Sprache. Die Trio-Cantilene im Scherzo, das sakral anmutende Adagio und auch die aufgewühlt wogende Einleitung des Schlusssatzes sangen stets mit großer Inbrunst, Leidenschaft und beseelter Ausdruckskraft. Im Kontext des Programms mit Max Bruchs „Kol Nidrei“ (Adagio nach jüdischen bzw. hebräischen Melodien) sowie mit der Zugabe von Ernest Bloch, dem „Prayer“ aus der Suite „From Jewish Life“ (Cleveland 1925), drängte sich die Frage nach dem Einfluss jüdischer Musik auf Mendelssohns Kompositionen geradezu auf. Interessierte den christlich erzogenen Musiker seine Herkunft? Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums und selbst Nachfahre der Mendelssohns, gab darauf in einem Aufsatz eine Antwort: „Beide, Hiller wie Mendelssohn, hat ihre jüdische Herkunft zeit ihres Lebens stark beschäftigt. Das Christentum war für sie Bekenntnis, aber es bedeutete nicht, dass sie durch ihre Konversion zum Christentum zu Gegnern des Judentums geworden wären. Was sie, jeder auf seine Weise, in ihrer Person verkörperten, war die Sichtweise und Gefühlswelt des getauften Juden, für den das Judentum nach wie vor ein wichtiger Teil seiner Identität bleibt.“
Ein Aspekt, dem Moreau und Kadouch mit der Programmkonzeption offensichtlich nachgingen. Zwar waren traditionelle jüdische Elemente in den beiden Mendelssohn-Cellosonaten nicht herauszuhören, doch in der Spielweise vor allem Moreaus klang eine Verwandtschaft zu Bloch und Bruch deutlich an. Ein erhellender Einblick, der darauf verweist, wie viel es in Mendelssohns Musik noch zu entdecken gibt.

Reinhard Palmer, 21.09.2020


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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So, 20.09.2020 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.