Nach(t)kritik
Jenseits von Schweden
Veranstaltung: Schlachtplatte: Spezial 2021 (Ersatztermin) Spezial 2021 (Ersatztermin)Zwischen Fußball und Kabarett lassen sich manchmal erstaunliche Parallelen ziehen, das weiß man seit Dieter Hildebrandt. Stures Festhalten am Konzept der Dreierkette brockte Bundestrainer Joachim Löw eine löchrige Defensive und jede Menge Gegentreffer ein – während man für den Kabarettisten Robert Griess und seine mittlerweile dritte Auflage der „Schlachtplatte“ konstatieren darf: Da fehlte ein wenig das Spiel in die Spitze. Auch der Kölner Griess, so etwas wie der „Bundes-Jogi“ unter den Kabarettisten, war im Gegensatz zur nachgeholten satirischen Jahresend-Abrechnung für 2019 diesmal nur zu dritt aufgelaufen – seine zwei Mitstreiter Sebastian Rüger (bekannt u.a. als Teil des Duos „Ulan & Bator“) und der vielseitige Comedian Henning Schmidtke brachten vor allem parodistische Solonummern mit, nur mit dem Kombinationsfluss haperte es ein wenig.
Man muss Löw ebenso wie Griess natürlich zugutehalten, dass die Pandemie ihnen jeweils ganz schön zu schaffen gemacht hatte: Das ursprünglich für den 23. Januar 2020 vorgesehene Gastspiel der „Schlachtplatte“ im Gautinger bosco konnte wegen des langen Lockdowns erst jetzt stattfinden, im Bemühen um Kompensation immerhin gleich mit zwei Vorstellungen am Sonntagabend, doch das sommerliche Wetter erwies sich als starker Konkurrent. Zusätzliche Erschwernis für das möglichst aktuelle kabarettistische Aufarbeiten eines ganzen Jahres (in diesem Fall eigentlich 2019) war schlichtweg die inzwischen verstrichene Zeit: Der quasi verbeamtete Fußballbundestrainer Löw mag sie gut dotiert mit Espresso-Schlürfen verbracht haben – für Bühnen-Künstler, denen ein gutes Jahr lang die Existenzgrundlage weggebrochen ist, gelten ungleich härtere Bedingungen. Dennoch: Ein Donald Trump ist trotz seiner Comeback-Versuche einfach „out“, auch als Spott-Objekt, daran änderten nicht mal die großartige Sprach- und Gesten-Parodie durch den gelernten Schauspieler Sebastian Rüger und seine Betrachtungen zu Erdbeeren („Fake Nuts“) etwas. Auch die ewige Kanzlerin Angela Merkel wird demnächst Geschichte sein – Robert Griess ließ sie deshalb nur noch als rautenbildende Randerscheinung mitmischen, dafür führte der aus dem Harz stammende Henning Schmidtke den unvermeidlichen „Panik-Onkel“ Karl Lauterbach ganz wunderbar ins Geschehen ein.
Das stets prima funktionierende Prinzip der Abwechslung zwischen Solo- und Ensemble-Nummern wirkte diesmal leider etwas zusammenhanglos, ja geradezu angestrengt bemüht, der „verlorenen Zeit“ noch etwas Aktualität und einen Ausblick aufs Wahljahr 2021 abzutrotzen: „Nur durch sieben Lockdowns musst du gehn“ gab das einleitende Medley musikalisch die grobe Richtung vor (am Piano: Schmidtke), doch danach wurde vieles leider thematisch nicht eingelöst. Man rettete sich dafür ein wenig mit schön Ätzendem über die Zeit, zum Beispiel bei Pannen-Minister Andreas Scheuer („Diese Mensch gewordene Verzweiflung“), welcher die feine Beobachtung auslöste: „Was die Bayern nicht mögen, wird auf die Allgemeinheit abgewälzt!“
Dann ging´s aber auch schon wieder um die von Henning Schmidtke entworfene Idee einer „Bundeswahllotterie“, die den Bürger mit Gewinnversprechungen an die Urnen locken soll – zu wenig Vertikal-Spiel, wie gesagt. Mannschaftskapitän Robert Griess hatte selbst auch nicht seinen besten Tag erwischt: Dass er sich „abends um fünf vor neun“ mit dem Fahrrad in die Kölner Innenstadt aufgemacht hat, um sich vom wohlfeil-kostengünstigen Balkon-Applaus für die Krankenschwestern und Pflegekräfte etwas abzuholen, war eher ein realistischer Akt der Verzweiflung. Sein folgendes Pandemie-Protokoll: Nicht komisch, weil inhaltlich absehbar, und außerdem viel zu lang. In dieser Phase des Abends schwächelte auch der ansonsten hochinteressante Sebastian Rüger: Die quälende Nummer mit der nichtssagenden „Pose“ eines offenbar gemeinten Dieter Nuhr ging am Publikum knapp zehn Minuten lang weitgehend vorbei, löste aber am Ende doch noch erleichtert-ratlosen Beifall aus. Wenn Robert Griess noch nachvollziehbar darüber räsonierte, dass die Kulturschaffenden im Lockdown weitgehend vergessen worden waren und er schon ernsthaft überlege, von der (brotlosen) Kleinkunst zur (satt subventionierten) „Großkunst“ zu wechseln, dann spürte jeder im Saal etwas von der prekären Lage der soloselbstständigen Künstler, doch bei Rügers ins Leere gehender Suada stiegen viele aus, obwohl es womöglich „art“ war – große Kunst.
Versöhnlicher, weil musikalisch locker wurde es dann wieder gegen Ende dieses für die „Dreierkette“ gewiss kräftezehrenden Doppel-Auftritts, und noch einmal erhob die Pandemie ihr grässliches Haupt, besungen von „Stiko De Angelo“: „Wenn auch ein Kind plötzlich Maskenschutz trägt / bist Du wahrscheinlich in Schweeee- den“ schmetterte Schmidtke am Klavier, und Rüger alias Hans Albers ergänzte: „Intensivstation nachts um halb eins“. Aus der Köln-Hymne „Viva Colonia“ wurde dann noch ein gesangliches „Viva Corona“, und sogar den ollen BAP-Song „Verdammp lang her“ kredenzte Lokal-patriot Griess noch – er meinte den letzten Auftritt vor Live-Publikum. Das bekam prompt das Kompliment, es sei „das beste in diesem Jahr“ gewesen. Galgenhumor zum Schluss sowie die Hoffnung, der Bundeskabaretttrainer stellt bei der „Schlachtplatte“ für 2021 wieder auf Viererkette um. Hätte mehr Durchschlagskraft, denn, wie sagt Robert Griess: „Der Mensch lebt nicht vom Baumarkt allein.“
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.