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Nach(t)kritik

Mi, 20.03.2019
20.00 Uhr

Kleine Brise mit Sturmwirkung

Veranstaltung: Gerd Holzheimer "Auf geht´s: Zu neuen Ufern!" (5): Wie werde ich Achtundsechziger?

Um Aufbrüche ging es in den vorangegangenen vier literarischen Erkundigungen unter dem Schlachtruf „Auf geht`s: Zu neuen Ufern!“. Um einen zeitgeschichtlich noch immer sehr nahen und nicht zuletzt darum sehr persönlichen Aufbruch ging es auch an diesem fünften Abend. Persönlich war diesmal vor allem die Perspektive des Navigators Gerd Holzheimer, der in einer ebensolchen Auswahl der Frage nachging, wie er selber qua Lektüre zum Achtundsechziger wurde (dass er schon aufgrund seines Geburtsjahrgangs nun an Lebensjahren zur Zeit und bis zum nächsten Geburtstag einer ist, zählt da nur als kleine und mit einem Lächeln versehene Randbemerkung).

Der literarische Lebensweg, im bosco wie immer als Handapparat aus erlesenen und nicht selten handsignierten Exemplaren aus dem Holzheimerschen Bücherschrank vertreten, beginnt bei Hans Leip und dem Rätsel der Liebe in „Jan Himp und die kleine Brise“ und schlägt dann einen Bogen über Karl May, „Winnetou III“, Goethes „Leiden des jungen Werther“ zu den Beat-Poeten und den Autoren der Frankfurter Schule bis zu deren Nachfahren. Als roter Faden und autobiographischer Hintergrund dienen eigene Texte Holzheimers aus dem im Volk Verlag erschienenen Band „Das München-Album“, das anhand von fotografischen Zufallsfunden aus diesem frühen Aufbruch der noch jungen Republik der Frage nachging, „Wie ich ein Achtundsechziger wurde“.

Während der Schauspieler und Rezitator Christian Baumann mit sichtlichem und hörbarem Vergnügen an der Auswahl und dem Thema des Abends die literarischen Dokumente las, erzählte Gerd Holzheimer in kleinen Randbemerkungen und Anekdoten von seinem Heranwachsen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum politisch bewegten Studenten. Erzählte von kindlicher Lektüre in eben jenem „Jan Himp“, dem die Erwähnung dieses geheimnisvollen Themas Liebe in Zusammenhang mit den Matrosenbräuten von der Reeperbahn ebensolche Rätsel aufgibt wie dem lesenden Buben, dessen Foto links vom Podest der beiden Akteure einen staunenden, rätselnden kleinen Kerl zeigt. Der wächst heran. liest bald schon Karl Mays Wildwestphantasien und rätselt nun über den sterbenden Apachenhäuptling und dessen Wunsch, ausgerechnet im Sterben in einer sehr indianischen Umgebung mit dem „Ave Maria“ getröstet zu werden. Unmittelbar auf die „Winnetou“-Lektüre folgt jene des großen Sturm-und-Drang-Dramas vom unglücklichen Werther, der nicht bereit ist, sich den herrschenden gesellschaftlichen Konventionen zu beugen und dafür sogar mit dem Leben bezahlt.

Stürmend und drängend lehnt nun auch der Heranwachsende, Schüler am Münchner Ludwigsgymnasium, die herrschenden Konventionen ab und tauscht eigenmächtig das Schulzimmer mit einer Segeljolle, um auf dem Starnberger See ohne störende Lehrerkommentare sich der Lektüre von Platon hinzugeben. Etwa zu dieser Zeit muss es gewesen sein, erinnert sich Holzheimer, dass er sich vom Lohn für das Austragen vom Kirchenblättchen die regenbogenbunte Suhrkamp-Taschenbuchreihe zusammenkaufte. So lag es nahe, dass ihm irgendwann auch Horkheimer und Adorno unter die lesenden Augen kommen mussten, flankiert von den Gedichten Alan Ginsbergs. Das Schulschwänzen tat dem Abitur keinen Abbruch, so dass der junge Leser sich bald an der Münchner Universität wiederfand und hier noch die Nachwehen der Studentenbewegung erlebte. Die tödliche Schüsse auf Benno Ohnesorg und später das Attentat auf Rudi Dutschke trieben auch in München die entsetzten Studenten auf die Straße. So ergab es sich, dass der Student Holzheimer auf diese Weise für einen Tag die Auslieferung der BILD-München verhinderte - eine Lektüre, die er sich und anderen unbedingt ersparen wollte.

Eines aber zeigt dieser so persönliche Aufbruchsabend ganz deutlich: wenn es einen Weg gab, zum Achtundsechziger zu werden, dann den über die intensive, empathische und als Anlass zum eigenständigen Denken verstandene Lektüre von Büchern. Solche Aufbrüche täten auch der Gegenwart mal gut.

Sabine Zaplin, 20.03.2019


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 20.03.2019 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.