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Nach(t)kritik

Di, 07.03.2023
20.00 Uhr

Kleine und große Gesten

Veranstaltung: Preisträger*innenquartett des ARD-Wettbewerbs 2022: Barbican Quartet

Ihr Mozart – das Streichquartett D-Dur KV 575 – war im Semifinale des ARD-Musikwettbewerbs im letzten Herbst im Prinzregententheater so überragend, dass ich schrieb: „Schöner, präziser und charaktervoller, homogener und zugleich aufregender kann man Mozart nicht spielen, raffiniert auch im sparsamen, doch dann umso entschiedeneren Gebrauch des Vibrato. Da meint man ganz klar ihre Lehrer vom Quatuor Ébène herauszuhören!“

Auch beim Konzert in Gauting spielte das seinerzeit wenig später beim ARD-Wettbewerb mit dem ersten Preis ausgezeichneten Barbican Quartet dieses Mozart-Quartett überzeugend, weil es mit  viel Charme und Lockerheit so rund musiziert war. Der langsame Satz blühte wunderbar auf, das Menuetto wurde zum prallen, beinahe scharfgeschnittenen Scherzo. Freilich klang manches, anders als seinerzeit, auch ein wenig gebremst, wie der ganze Abend manchmal wie hinter einem Schleier gespielt schien. Das mochte viele Gründe haben, wie die Akustik (das Bosco kann nicht das Prinzregententheater sein!) oder den nun fehlenden durchaus positiven Adrenalin-Ausstoß, den ein Wettbewerbs-Semifinale bewirkt. Auch die ermüdenden Strapazen einer Tournee, die das Quartett derzeit fast jeden Tag in einer anderen Stadt unterschiedliche Programme spielen lässt, mögen ihren Beitrag geleistet haben.

Ein großer Prüfstein war danach Leoš Jánačeks zweites Streichquartett „Intime Briefe“ von 1928. Es gehört spieltechnisch, wie in der Phrasierung und im Zusammenspiel, aber auch emotional zu den herausforderndsten, anspruchsvollsten Werken dieser Gattung nicht nur im 20. Jahrhundert. Der momentweise wechselnde Ausdruck, die Vielfalt der Gefühle, Stimmungen und Erinnerungen, die des Komponisten leidenschaftliche, nur platonisch gelebte Liebe zur 37 Jahre jüngeren Kamila Stösslová spiegelt, drückt sich oft in den für Jánaček so charakteristischen, der Sprachmelodie des Tschechischen entstammenden kleinteiligen Phrasen aus. Und doch entsteht ein spannungsvoller Bogen, der sich über die einzelnen Sätze und das ganze Quartett wölbt. Da waren Amarins Wiedsma und Kate Maloney (Violinen), der Bratscher Christoph Slenczka und Yoanna Prodanova sehr mutig, riskierten am Steg harsche und im Flageolett ganz gläserne Klänge. Aber manche, vor allem dissonante Akkorde und etliche Phrasen konnte man sich doch klanglich geschärfter und damit intensiv leuchtender vorstellen. So war manches ein wenig al fresco aufgetragen.

Robert Schumanns A-Dur-Quartett op. 41/3 aus dem Jahr 1842 hätte der Höhepunkt des Konzerts werden können, aber da fiel das Barbican Quartet doch hinter das überragende Niveau, das sie beim ARD-Wettbewerb bewiesen hatten, mehr als nur ein wenig zurück. Fast hatte man den Eindruck, jeder Streicher war mit sich selber beschäftigt, aber nicht Teil eines vierstimmigen Ganzen. Schumanns manchmal für sich stehende Passagen ergeben nur musikalischen und emotionalen Sinn, wenn sie auf verschiedenen Ebenen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Und das heikle, grimmige Finale braucht neben absoluter Sicherheit der Intonation und einer im dichten Satz minutiös ausgehörten Klanglichkeit vor allem einen gemeinsamen Atem. Den spürte man erst wieder bei der zarten Zugabe mit Schumanns „Wenn ich ein Vöglein wär‘“!

 

 

Klaus Kalchschmid, 08.03.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 07.03.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.