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Nach(t)kritik

Mi, 04.05.2022
20.00 Uhr

Lauter Gewinner

Veranstaltung: Konzert der ARD-Preisträger*innen: Violine, Violoncello, Horn, Klavierduo

Nun soll Ungarns größter Komponist Béla Bartók, der auch ein Jahrhundertpianist war, einmal gesagt haben, dass Wettbewerbe für Pferde seien, nicht für Künstler. Darüber ließe sich heute zumindest streiten. Denn der ARD-Wettbewerb bietet aufstrebenden Jungmusikerinnen und -musikern Jahr für Jahr die Gelegenheit, sich einer interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dabei bekommen zurecht nicht nur die Erstplatzierten Beachtung und Respekt. Eine exquisite Auswahl an Prämierten diverser Kategorien zeigt im bosco, welche Masse an Talent und schwindelerregender Musikalität in der jungen Musikergeneration vorhanden ist.

Das weiß, wer einmal in den Genuss gekommen ist, das Sankt Petersburger Klavier-Duo aus Nika Melnikova und Olesia Morozova zu hören. Als ihnen im vergangenen Sommer der zweite Preis des Münchner Wettbewerbs zugesprochen wurde, ging ein Raunen durch den Herkulessaal. Und ja, auch wenn man ihnen in Gauting bei Maurice Ravels "Ma mère l’oye" zuhört, so sorgfältig gestaltet, farbenreich, präzise, mit Sinn für den Zauber und den poetischen Humor dieser Miniaturen, denkt man unweigerlich: Besser geht es eigentlich nicht. 

Doch nicht nur Original-Besetzungen des Wettbewerbs treten hier auf. Dieses Programm würfelt auch reizvolle Kombinationen zusammen. So kommen für zwei kleinere Werke für Klaviertrio zur Pianistin Nika Melnikova die Geigerin Alexandra Tirsu und Friedrich Thiele mit seinem Cello auf die Bühne. Der heiter schlichte B-Dur-Triosatz Beethovens (WoO 39) verrät nicht allzu viel über das Können der drei, zeigt jedoch bereits die klanglichen Dispositionen und die Fähigkeit zur wortlosen Kommunikation untereinander – was umso mehr überrascht, da die Musiker für ihre Tournee zum ersten Mal zu kammermusikalischen Besetzungen zusammengefunden haben. Wirklich zum Tragen kommt all das erst im "Kleinen Trio" der Schwedin Helena Munktell. Pulsierende, federnde Rhythmen im ersten Satz, große kantable Linien im zweiten und wilder Tanz im Finale. Das Trio schafft es aufs Schönste, die wenig bekannte Komposition zum Leben zu erwecken. Das liegt auch an der komplementären Anlage dieser Geige und dieses Cellos. Denn wo Tirsus schöner, körperhafter Ton nach Außen strebt, sucht Thiele auf dem Cello den Weg nach Innen, intoniert sensibel und überlegt. Nach der Pause wird er diesen Ton solistisch zeigen. Er scheint für ein Werk wie Claude Debussys Cello-Sonate wie gemacht. Hell, schwebend, flexibel, so verfolgt Thiele die barockisierenden Klangfiguren, macht deutlich, was Debussy gemeint haben könnte, als er im zweiten Satz "ironique" in die Cello-Stimme geschrieben hat, um dann im rasanten Finale ganz aus sich herauszukommen.

Fehlt nur noch einer: Yun Zeng, der vor seinem Erfolg in München schon durch einen Gewinn der Goldmedaille beim Tschaikowski-Wettbewerb 2019 Aufsehen erregte. Wie es dazu kam, zeigt seine beispielhafte Interpretation von Robert Schumanns „Adagio und Allegro für Horn und Klavier“ (Opus 70). Yun Zeng sieht das Stück wie aus einem Guss, als Erzählung einer klanglichen Befreiung. Dumpf fängt das an, gewinnt an Wärme, Strahlkraft, bis dann im fabelhaft schnellen Allegro-Teil der Klang vollständig durchleuchtet wird, samt knuspriger Artikulation und vitaler Phrasierung.

Das geht auch in Johannes Brahms’ Trio für Horn, Violine und Klavier nicht verloren. Nur, dass ihm hier als ebenbürtige Partner Alexandra Tirsu und Olesia Morozova sekundieren. Den harmonisch wie melodisch trüben Kopfsatz gestalten die drei als ein allmähliches Auflichten und überbrücken dabei die Tücken, die sich aus einer Besetzung ergeben, bei der eine Geige neben einem Horn sitzt. Vor allem der melancholische Adagio-Satz lässt erkennen, wie genau hier aufeinander geachtet wird, ehe ein ausgelassen jubelndes Finale den Kehraus macht.

An Applaus wird nicht gespart aus den erfreulich gut besetzten Reihen. Wobei man schon ins Grübeln kam, wie wohl aus einer Besetzung mit zwei Pianistinnen, einer Geigerin, einem Cellisten und einem Hornisten eine Zugabe zu basteln sei. Man darf sich ruhig der Kreativität dieses Ad-Hoc-Ensembles anvertrauen, denn aus Johan Halvorsens freier Bearbeitung einer Händel’schen Passacaglia – eigentlich das beliebteste Zugabenstück für ein Duo aus Geige und Bratsche – macht das Preisträger-Quintett ein sympathisches Stück musikalischer Komik, sodass festzuhalten bleibt: Gewonnen haben am Ende alle, vor allem die Zuhörerinnen und Zuhörer, die zwei Stunden lang feinste Kammermusik von fünf originellen Musiker-Persönlichkeiten erleben durften.

Paul Schäufele, 05.05.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 04.05.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.