Nach(t)kritik
Leichtsinn mit Tiefgang
Veranstaltung: Boulanger Trio: "Teach me! - The Students of Nadia Boulanger"Ach, endlich mal kein Mozart, Beethoven, Schubert oder Brahms bei einem Abend mit Klaviertrio, so schön diese Werke auch sind, und am Ende sogar noch eine feine, kleine und überaus charmante Zugabe einer Frau! Denn gewidmet war der Abend den Schülern der Namensgeberin des Boulanger Trios, also Nadia Boulanger und last but not least ihrer ersten Schülerin, der sechs Jahre jüngeren Schwester Lili. D’un matin de printemps heißt das Stück von 1918, hier in Trio-Bearbeitung, und es klang – mit Verlaub – so ganz anders als all die Stücke der männlichen Kollegen, wirklich berückend zärtlich und doch voller Selbstbewusstsein.
Dabei war auch sonst die Bandbreite denkbar groß; sie reichte vom schrägen Klaviertrio voller Lausbuben-Humor des 74-jährigen Jean Françaix über kantige, machmal fast verbissene Studien angesichts eines jüdischen Themas in Vitebsk von Aaron Copland bis zu den Vier Jahreszeiten Astor Piazzollas. Bei denen fragt man sich anders als bei Antonio Vivaldis berühmtem Vorgänger schon, was da so frühlingshaft, sommer- oder herbstlich sei soll. Andererseits hat Verano Porteño einen so heißen, schwülen und manchmal schleppenden Sehnsuchtston, dass man sich gut dazu eine argentinische Sommerhitze und –trägheit vorstellen kann. Bei Otoño Porteño kratzt erstmal die Geige am Steg, dann wird es durchaus herb herbstlich mit einem schönen Cello-Solo, bevor die Lebensgeister erneut erwachen und doch die beiden Streicher abwechselnd den Trauerflor anlegen oder die Flucht nach vorne einschlagen, immer wieder mit der für Piazzolla so typisch knackigen, in den Tango bzw. die Milonga verliebten Energie. Invierno Porteño beginnt mit einem kühlen Klaviersolo, bevor zu dritt in Klängen wie Rhythmen ein mild melancholischer Frost einsetzt und das Ganze in schöner Eleganz und sehr verhalten endet.
Dagegen blieb das Hauptthema aus dem Film Die Farbe Lila von Quincy Jones zuvor fast ein wenig lilablassblau, die Überraschung angesichts der wohltuenden Kürze von Head on aus der Feder des erst 30-jährigen Philip Glass war dagegen umso größer.
Ein weiterer Höhepunkt des Abends waren sicher die vier Themen aus Leonard Bernsteins West Side Story. Beginnend mit einem Prolog, bei dem man ganz deutlich die Tänzer der Jets und der Sharks in der berühmten Verfilmung von Robert Wise und Jerome Robbins aus dem Jahr 1961 imaginierte, über Tonys immer wieder herrlich schwärmerischen Maria-Song und das berückend schöne, traumverlorene Somewhere bis zum zündenden Mambo: was für eine immer wieder berauschende Musik, die gerade in der Bearbeitung für Geige, Cello und Klavier ihre ganz besonders intim-intensive Wirkung entfaltet.
Eigentlich hätte man gerne eine Bearbeitung der ganzen West Side Story gehört, so fein theatralisch musizierten Karla Kaltenbacher am Flügel, die Geigerin Birgit Erz und Ilona Kindt am Cello diese Musik, die in jedem Takt Bühnenluft atmet, aber auch bei den anderen Komponisten bewiesen diese Drei Damen ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Musizierlust, die geradezu ansteckend war und so manche Fußspitze wippen ließ. Denn tänzerischen Charme besaß das Gros der Werke dieses Abends, der unter der launigen Oberfläche so viel Tiefsinn verbarg.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.