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Nach(t)kritik

Fr, 21.04.2023
20.00 Uhr

Lieber faul als immer müde

Veranstaltung: Christoph Sieber: Mensch bleiben

„Der Zweifel ist über jedes Wissen erhaben“, sagt Christoph Sieber und legt dann einen kabarettistischen Sprengsatz an Beobachtungen zur Gegenwart, hochexplosiv, blitzschnell und ebenso -gescheit - dabei immer seiner Ankündigung folgend, dass er lieber jede Menge Fragen biete als ein paar fragwürdige Antworten. Schon der Titel seines Programms wirft ja gleich eine ganze Menge Fragen auf: „Mensch bleiben“. Was ist denn ein Mensch? Wie lässt es sich Mensch bleiben? Soll der Mensch aufgefordert werden zu bleiben? Oder soll er das lieber gleichmal bleiben lassen?

Um es gleich vorwegzunehmen: Christoph Sieber bleibt kaum eine Frage schuldig und stellt dabei eine ganze Menge in Frage. Die Rolle der FDP in der Ampel beispielsweise: „Die ist doch der Pflegefall in der deutschen Bundesregierung“, attestiert er ihr und bemerkt dazu, dass auch diese wie jeder Pflegefall mindestens einmal die Woche gewendet werden muss, damit sie sich nicht wundliegt. Bundeskanzler Olaf Scholz scheint ihm die männliche Variante seiner Vorgängerin zu sein. Und Fragen an die Opposition hat er jede Menge, allen voran die Frage, wie es sein kann, dass sich ausgerechnet jemand wie Friedrich Merz mit dem Satz „Ich bin die Zukunft“ ins geschehen wirft: „Da sagt die Zukunft doch sofort: dann komme ich lieber nicht.“

Fragen stellen sich Christoph Sieber auch hinsichtlich des Zusammenhangs von Reichtum und dem zum Erwerb desselben oft vielfältig beschworenen Fleiss oder vielmehr der immer wieder geforderten Leistung. „Wenn Reichtum und Leistung tatsächlich zusammenhängen, dann müsste es in diesem Land sehr viele sehr reiche Krankenschwestern geben“, sagt er und stellt, quasi als Gegenfrage zur immer wieder in der Politik auftauchenden Frage, was den Sozialstaat das Problem der Armut kostet, die Frage, was ihn, was uns alle die Reichen kosten - für die es doch hinsichtlich der eigentlich zu erbringenden Steuerschuld immer wieder erstaunlich kreative Lösungen zur Vermeidung derselben gibt. „Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, wir leben über die Verhältnisse anderer.“

Dann gibt es natürlich noch jede Menge Fragen zu stellen an den Verstand des Menschen, der während der Pandemie immer wieder erstaunliche Kapriolen offenbarte, von denen die Annahme, die Erde sei wohl doch eher eine Scheibe - mit einem Loch in der Mitte - nur eine von vielen Überraschungen war. Der Mensch, dahin zielen Siebers Fragen immer wieder, ist ein Anpassungswunder, das zwar am liebsten seine Ruhe hat und unter Zukunft so etwas wie einen Plan für die Woche versteht - „Freitags Beischlaf, Sonntags Tatort, Dienstags Gelber Sack“ -, das vom Paradies träumt und dabei übersieht, dass der Zustand ewiger Seligkeit die eigentliche Hölle ist; und das immer wieder im Getriebe der großen, unaufhaltsamen Kräfte als Kollateralschaden aufgerieben wird. Und dennoch überlebt - ein Anpassungstalent eben.

Vielleicht ist das eigentliche Geheimnis hinsichtlich der Frage, wie man Mensch bleiben kann, das in der Poesie so oft besungene Lob der Faulheit. „Lieber faul als immer müde“, lautet Christoph Siebers Wahlspruch, den er sogar als Postkarte unters Volk streut. Dahinter steckt eine kluge Absicht: da, wo der Mensch sich entspannt, kann er weniger Schaden anrichten.

Sabine Zaplin, 22.04.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 21.04.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.