Nach(t)kritik
Literarisches Stelldichein an der "Tankstelle der Hoffnung"
Veranstaltung: Gerd Holzheimer: Nur der Not keinen Schwung lassen (Teil 1)Das sähe man ja schon an ihrer Abendgarderobe, daß die Huber Judith (im weiß-blauen Overall) von eben dort herkäme - so Holzheimer's launiger Vorgeschmack auf einen Abend, der sich dem Thema "Hoffnung" verschrieben hat, und von eben dieser so charmanten wie hervorragenden Vorleserin getragen wird.
In nach-coronösen Zeiten, zwischen Angriffskrieg und bayrischen Landtagswahlen (literarische) Apfelbäume pflanzen, wie es im Untertitel der Veranstaltung heißt? Und kennen wir sie nicht längst alle - die großen Schreiberinnen und Schreiber, wie ihre noch größeren Werke? Aber weit gefehlt! Nicht nur der Not, auch dem bildungsbürgerlichen Klischee eines leichten Abends in schweren Zeiten verweigern Huber und Holzheimer den Schwung: von Kleist's Anekdote eines preußischen Helden gegen eine französische Übermacht, über Johann Peter Hebel's Kalendergeschichten, Ingeborg Bachmann's gestundeter Zeit bis zu Grass' Blechtrommel - jeden der Texte unterlegt Holzheimer mit einem Strom aus historischem Kontext, literarischen Querverbrückungen aus seinem reichen Schatz des Gelesenhabens, persönlichen Erlebnissen und archaischen Bildern, die, im Musil´schen Möglichkeitssinn, der Zuhörerschaft freie Hand bzw. den Geist frei lassen und vorbereiten, für das was dann kommt:
das Lesen, das Vorgelesen-Bekommen, das Hören! Freilich, ein billiger Kalauer - aber für diesen Abend dennoch: im so vorbereiteten Raum entlockt Judith Huber den Texten bislang Unerhörtes! Und just an den Stellen, wo man als Zuhörer denkt: "Was? Wie war das doch gleich? Ich würd´ so gern nochmal... " interveniert Holzheimer lächelnd: "Ah geh´, des war so guad, lies doch nochmal..."
Und unwillkürlich glaubt man, sich der Zeiten erinnern zu können, als die Erzählungen noch nicht schreiben konnten, sich ausgesprochen, den Zuhörern ihr Herz ausgeschüttet und Inwendigkeiten jenseits der Schrift zugänglich gemacht haben.
Vielleicht also ist das der eigentlich hoffnungsvolle Kern dieses Abends:
dem Zwiegespann Holzheimer-Huber gelingt es, jedem noch so bekannten, oft inflationär wiedergekäuten Text Anderes, a u c h-Mögliches zuzusprechen!
Und das, fürwahr, läßt hoffen: daß anderes Denken auch in alten Gefügen möglich sei! Mögen diese Tankstellen mit den Wahlplakaten und Apfelbäumen um die Wette sprießen!
Das Publikum dankt mit anhaltendem Applaus!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.