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Nach(t)kritik

Fr, 14.10.2022
20.00 Uhr

Musikästhetischer Streifzug

Veranstaltung: Quatuor Hermès: Gedenkkonzert für Rainer A. Köhler

Es passt trefflich, dass dieses Gedenkkonzert für Rainer A. Köhler mit dem Quatuor Hermès im Gautinger bosco als Sonderkonzert außerhalb der regulären Abonnementreihe steht. Denn wenn man Hans-Georg Krauses liebevollen Gedenkworten an den vor fünf Jahren verstorbenen Architekten und hingebungsvollen Förderer der Gautinger Kammermusik eines mit besonderem Schmunzeln entnehmen kann, dann dessen Leidenschaft für Sonderkonzerte. Sie waren für Köhler ein stets willkommenes Medium, um noch mehr Kammermusik anbieten zu können. Man kann sich im Treppenhaus ein Bild davon machen: Sämtliche Konzerte, die Köhler zwischen 1999 und 2016 organisierte, sind auf einem großen Plakat verzeichnet. 200 Abende. Die internationale Elite der Kammermusik zu Gast in Gauting. Amelie Krause führt die Reihe weiter. Wie wichtig das ist, zeigt sich im Konzert des Quatuor Hermès jedes Mal, wenn das Publikum nach einem Werk frenetisch zu applaudieren beginnt: Hier ist ein echtes Liebhaber- und Kennerpublikum herangewachsen.

Was den Zuhörerinnen und Zuhörern an diesem Abend geboten wird, ist ein musikästhetisch umfassender Streifzug durch drei Jahrhunderte. Das 18. Jahrhundert präsentiert sich dabei mit Mozarts d-Moll-Streichquartett KV 421 auffallend prägnant. Dieser Eindruck entsteht weniger durch den souverän führenden ersten Geiger, Omer Bouchez, oder durch Elise Liu (zweite Violine) und Lou Yung-Hsin Chang (Bratsche), die die Mittelstimmen ausgesprochen agil und hochpräzise spielen, sondern insbesondere durch Yan Levionnois’ Cellospiel. Er setzt die Töne mit sehr kraftvollem Druck an, lässt sie oft zunächst puristisch fortklingen, bevor er ihnen mit dem Vibrato Wärme beimengt. Das sorgt für klare Akzente und Konturen, verleiht der Musik ein leicht herbes Fundament und erzeugt dadurch einen sehr spannenden Klangcharakter. Auch das Andante weist beim Quatuor Hermès keine Süßlichkeit auf und schreitet mit deutlichem Puls voran. Das ziemlich schnelle Menuett bekommt klare Kanten modelliert – die vom Pizzicato-Charme des Trios trefflich kontrastiert werden. Sicherlich, der Finalsatz hat anschließend viel feingliedrigen Zauber zu bieten, insgesamt aber ist dieser Mozart nicht schwelgerisch gespielt; direkter Klang und Präzision stehen im Vordergrund. Das ist sehr überzeugend.

Gänzlich anderen Charakters ist Leoš Janáčeks Streichquartett Nr. 2. Es ist ein programmatisches Werk der Moderne; Janáček hat in seinem Todesjahr 1928 seine zwar erwiderte, dennoch unerfüllte Liebe zur 37 Jahre jüngeren Kamila Stösslová in Musik gesetzt. „Intime Briefe“ lautet der Werktitel (700 dieser Briefe schrieben sich die Liebenden, die jeweils anderweitig verheiratet waren) – und somit ist diese Musik ein sehr persönliches Bekenntnis. Dass hier Ausdrucksintensivierung an vorderster Stelle steht, liegt also im Wesen des Werkes, und es ist großartig, welch fesselnde Erzählung das Quatuor Hermès vorträgt. Mit fahl flirrenden Klanggebilden von Bratsche und Cello zu Beginn, die sofort klarstellen, dass nicht von ungetrübtem Glück berichtet wird. Gleichwohl mit wohliger Wärme im Adagio. Mit herrlicher Melancholie im dritten Satz, die den tänzerischen Gestus dämpft und wie eine sehnsuchtsvolle Erinnerung erscheinen lässt. Mit von vielen Brüchen durchzogenen Stimmungen im Finalsatz, die von rhythmischer Euphorie bis zu wundervollem zweistimmigem Gesang der beiden Violinen reichen.

Mit diesem intensiven Musizieren bereitet das Quatuor Hermès das Terrain für Aleksandr Borodins Streichquartett Nr. 2 von 1881. Hier, im späten 19. Jahrhundert, ist das Vibrato üppig, die interpretatorische Handschrift von genießerischem Schwung. Natürlich, auch dieses Werk kennt rhythmische Härte, dunkle Eintrübungen, markante Zäsuren. Doch diesmal überwiegt die Freundlichkeit, der sich die vier Musikerinnen und Musiker hingeben, ohne darüber die Akkuratesse ihrer feinen Stimmengewichtung zu vergessen. Als Zugabe gibt es das an ein zauberhaftes Lautenständchen erinnernde „Playful Pizzicato“ aus Benjamin Brittens „Simple Symphony“.

Andreas Pernpeintner, 15.10.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 14.10.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.