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Nach(t)kritik

Sa, 27.01.2024
20.00 Uhr

Musikalische Charakterbilder

Veranstaltung: Soyoung Yoon, Violine & Marcin Sikorski, Klavier: Williams, Brahms, Prokofjew, Piazzolla und Bartók

Ziemlich am Ende wendet sie dem Publikum den Rücken zu. Zu hören sind schabende Geräusche wie von einem Güiro. Nur, dass Soyoung Yoon kein mittelamerikanischer Schlaginstrument spielt, sondern eine Geige, in diesem Fall hinter dem Steg, was das zu diesem Zeitpunkt schon hingerissene Publikum noch mehr für die koreanische Musikerin einnimmt. Astor Piazollas „Revirado“ spielt sie mit demselben Gespür fürs Charakteristische wie die vorherigen Stücke des komplexen (um nicht zu sagen: leicht überfrachteten) Programms.

Denn neben dem Argentinier mit dem Faible für extravagante Spieltechniken waren auch eine durch Yoon formvollendet nostalgisch sich in die Lüfte erhebende Fantasie „The Lark Ascending“ von Ralph Vaughan Williams auf dem Programm sowie Béla Bártoks „Rumänische Volkstänze“. Im Zentrum standen allerdings zwei veritable Meilensteine des Repertoires. An diesen muss sich die Geigerin messen lassen.

Für Johannes Brahms’ Violinsonate G-Dur Opus 78 wählt Yoon einen introvertierten Zugang, der seine Berechtigung hat. Das geschwungene Hauptthema des Kopfsatzes präsentiert sie vorsichtig tastend – eine Bewegung, die sie den ganzen Satz über beibehalten wird, selbst an Stellen wie der intrikaten Modulation nach b-Moll in der Durchführung, wo andere Interpreten ein Espressivo-Fest feiern. Umso überzeugender gelingt ihr der langsame Satz. Hier kann sie nicht nur ihren feinen, silbrigen Ton in Kantilenen ausbreiten, sondern vor allem ihrer eminenten Phrasierungsintelligenz Raum geben. Soyoung Yoon spielt mit langem Atem. Wobei auch hier der mittlere Teil, eine Trauermarsch-Reminiszenz, musikalisch merkwürdig unprofiliert bleibt. Das liegt auch an Marcin Sikorski. Der polnische Pianist ist zwar im Ganzen ein versierter, verlässlich sensibel agierender Partner, doch bei dieser Brahms-Sonate ist er Begleiter, wo er beredter Mit-Gestalter sein müsste. Das gilt zumal für die nervösen Sechzehntelketten, die das Finale durchziehen. Sie wirken motorisch korrekt, aber eben auch nicht mehr, entsprechend bleibt auch die Geigenstimme bei der klangschönen Ausführung, wo etwas mehr musikantischer Impetus nicht geschadet hätte. Das ist stellenweise wunderbar, aber in seiner Ereignislosigkeit auch ermüdend.

Ganz anders  (modisch wie musikalisch) zeigt sich Soyoung Moon nach der Pause. In Sergej Prokofjews erster Violinsonate Opus 80, diesem ingeniösen Werk voller unerhörter geigerischer Herausforderungen und brüsker Stimmungswechsel findet sie zu einer Charakterisierungskunst, die ihresgleichen sucht. Von der ersten, verhalten ausgeführten Note an herrscht eine dichte, angespannte Atmosphäre, die sich auf das konzentrierte, umso stillere Publikum überträgt. Es ist faszinierend, der perfekt austarierten Artikulation Yoons nachzulauschen, den quasi tonlos präsentierten grauen Noten, dem breit vibrierenden, verzweifelten ersten Thema und den schlackenlos gegriffenen flüchtigen Skalen am Ende des ersten Satzes, die für Prokofjew klingen sollten wie Wind, der über einen Friedhof streicht. Mit Sikorski gelingt ihr hier ein echter Dialog, der sich nahtlos im „Allegro brusco“ überschriebenen Satz fortsetzt. Der Pianist traut sich hier zum ersten Mal an diesem Abend, ein wenig zu donnern, worauf Yoon mit musikantischer Spielfreude reagiert, ohne ihre klangliche Vornehmheit für eine Sekunde aufzugeben. Schnitt, ein neues Bild. Wie aus dem Nichts tröpfeln die Sechzehntel des langsamen Satzes, langsam erhebt sich eine Geigen-Melodie von gespenstischer Schönheit auch in den höchsten Lagen, technisch ist Yoon – beinahe überflüssig zu sagen – quasi unanfechtbar. Den größten Coup heben sich Prokofjew und mit ihm Yoon für den Schluss auf. Nach einem lustigen Finale, in dem Yoon und Sikorski die ungeraden Rhythmen mit Leben füllen, kehren die windigen Skalen des ersten Satzes wider. Ein erschütternder Moment, für den das Duo die richtige Stimmung findet.

Das Publikum reagiert mit Bravo-Rufen. Ganz zu Recht, denn ein so souverän gestalteter, facettenreicher Konzertabend ist ein Ereignis.

Paul Schäufele, 28.01.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 27.01.2024 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.