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Nach(t)kritik

Fr, 03.03.2023
20.00 Uhr

Never trust your Haushaltsgeräten

Veranstaltung: Metropoltheater München: „(R)Evolution“ von Yael Ronen und Dimitrij Schaad - barrierearme Aufführung

„Sie haben sich hoffentlich alle mit den aktuellen Privatsphäre-Nutzungsbedingungen des bosco vertraut gemacht“, begrüßt Katharina Müller-Elmau vor der Vorstellung das Publikum und führt den Weg des Theaters ins 21. Jahrhundert noch ein bisschen aus: Glasfaser-Sensoren in der Größe von Ein-Euro-Münzen unter der Saalbestuhlung geben Auskunft über die Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer, winzige Kameras mit Gesichtserkennungs-Software liefern die entsprechenden Erkenntnisse weiter, so dass fortan, in Kombination mit den Informationen von Facebook, Instagram und Co. ein auf jede Einzelne, jeden Einzelnen zugeschnittenes Theaterprogramm entwickelt werden kann. Yael Ronen muss sich also um die Zukunft des Theaters keine Sorgen machen - zumal in dieser Zukunft ohnehin aufgrund von Künstlicher Intelligenz wesentlich mehr Zeit für das Theater bleiben wird.

Science Fiction? Das Theaterstück „R)Evolution“ von Yael Ronen und Dimitrij Schaad, fürs Metropoltheater inszeniert von Jochen Schölch, erzählt auf sehr unterhaltsame Weise eine Geschichte vom zukünftigen Menschen, die heute längst begonnen hat. Da sind Lana und René, gespielt von Vanessa Eckart und Jakob Tögel, die ihren Wunsch nach einem zweiten Kind verwirklichen möchten. Dabei haben sie jedoch unterschiedliche Vorstellungen: während René lieber dem Leben selbst seine Chance geben möchte, will Lana nichts dem Zufall überlassen. Und das scheint auch nötig, denn das Kind wird nur dann eine staatliche Krankenversicherung bekommen können, wenn seine Eltern zuvor alle medizinisch angebotenen genetischen Optimierungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Gemeinsam mit Dr. Stefan Frank (Hubert Schedlbauer) geht Lana die Basis-Angebote durch und riskiert dabei eine Ehekrise. Diese riskiert auch Dr. Frank, dessen Mann Ricky (Marc-Philipp Kochendörfer) lieber mit VR-Maske in Sex-Rollenspiele eintaucht als die tatsächliche Nähe seines in dieser Hinsicht eher altmodischen Partners zu suchen. Währenddessen sucht Renés Ex-Frau Tatjana (Mara Widmann) die Spuren der gemeinsamen Vergangenheit und gerät dabei in den Verdacht, Kontakte zu den „Naturalisten“ aufgebaut zu haben - einer Gruppe Aufständischer, die gegen die vorherrschende staatliche Kontrolle protestiert.

Diese ist tatsächlich gewaltig. Ein Hausroboter namens Alecto (Katharina Müller-Elmau) gestaltet überall den Alltag, folgt den Menschen zuhause auf Schritt und Tritt, beobachtet deren Gefühle und Reaktionen, gibt Tipps für das körperliche und seelische Wohlbefinden und liefert alle gesammelten Daten zuverlässig an Versicherungen, Finanzdienstleister und Wirtschaftsunternehmen weiter. Die Weigerung des Kühlschranks, sich wegen drohender Übergewichtigkeit der Menschen um ihn herum nicht mehr zu öffnen, ist da noch eine der weniger existentiellen Folgen. Sobald aber die Krankenversicherung deshalb den Beitrag erhöht, der Arbeitgeber wegen zu erwartender Ausfälle vorsorglich die Kündigung schickt und allein bei dem Gedanken an alternative Wege Präventivhaft droht, wird es gefährlich. Gefährlich aktuell. Denn was im Stück als imaginierte Realität im Jahr 2040 daherkommt, hat in der Gegenwart längst begonnen. Allein die Menge an gesammelten Daten zum Kaufverhalten, zu Essgewohnheiten und Freizeitaktivitäten bietet schon heute genügend Material für eine umfassende Analyse, auf der sich Prognosen zum weiteren Verlauf unser aller Alltag machen lassen. „Wenn wir nciht wissen,w as wir mit der Macht. Leben zu manipulieren, anfangen sollen“, schreibt der israelische Historiker Yuval Noah Harari, „werden die Marktkräfte nicht ein Jahrtausend lang warten, bis wir eine Antwort darauf gefunden haben.“ Hararis Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ bot Yael Ronen die Inspiration zu ihrem Buch.

Das Ensemble des Metropoltheaters gestaltet unter der klugen Regie von Jochen Schölch Yael Ronens Stück zu einer schwarzhumorigen Komödie, bei der dem Publikum das Lachen oft im Halse stecken bleibt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren wie Menschen von heute, die ja auch schon selbstverständlich mit Siri oder Alexa reden, sich per GPS navigieren lassen und ihr Zuhause zum SmartHome machen. Gerade die Alltäglichkeit im Spiel der sechs Schauspielerinnen und Schauspieler, die das Leben im Jahr 2040 zum Konversationsstück machen, lässt über die Situationskomik die Erkenntnis reifen, dass wir heute die Weichen stellen müssen, um nicht morgen vor der verschlossenen Kühlschrank-Tür zu stehen. Oder vor der verschlossenen Tür zur Teilhabe.

Eine Besonderheit dieser barrierearmen Aufführung war, dass durch zwei Gebärdendolmetscherinnen und durch eine Live-Audiodeskription es blinden, sehbehinderten und gehörlosen Menschen möglich gemacht wurde, an der Vorstellung teilzunehmen.

Gewiss haben die Glasfaser-Sensoren die Begeisterung aufgezeichnet, die im Publikum herrschte. Auf der Bühne jedenfalls haben sie den großen Applaus bemerkt.

Sabine Zaplin, 04.03.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 03.03.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.