Nach(t)kritik
Parteiübergreifender Konsens pro Kultur
Veranstaltung: Bayern ist ein Kulturstaat: Wia schaugts aus?Um im Vorfeld die Euphorie etwas zu dämpfen: Die Teilnehmer des Podiums sitzen noch nicht im Gemeinderat und vertraten hier nicht die Meinung der jeweiligen Fraktion, über deren Liste sie nun erstmals kandidieren. Da sie von der jeweiligen Partei oder lokalpolitischen Gruppierung ausgewählt wurden, über die Kulturarbeit in Gauting zu sprechen, war ohnehin anzunehmen, dass sie kulturaffin sind und im vollen bosco-Saal eine prima Wahlempfehlung abgeben würden. Wenn man schon oft an solchen – für die Wähler zweifelsohne dennoch wichtigen – Veranstaltungen teilgenommen hat, weiß man: Wenn überhaupt, sind es dann in der Regel die Einzigen, die sich – ihre Wahl vorausgesetzt – im Gemeinderat für die Kultur stark machen. Das heißt: Sie gehen hoffnungslos unter.
Und nachdem hier sieben Parteien und Gruppierungen vertreten waren, ist davon auszugehen, dass die Stimmen nicht für alle reichen werden. Was sich also bei der weniger Diskussion als Präsentation danach so angehört hat, als sollte der in der Bayerischen Verfassung festgeschriebene Auftrag der Pflege der Kultur, an den Gerd Holzheimer hochfeierlich erinnerte, eine Priorisierung erhalten, ist weit davon entfernt, im Gautinger Gemeinderat überhaupt wahrgenommen zu werden.
Stefan Berchtold (MfG/Piraten), Victoria Beyzer (FDP), Annette Derksen (Die Grünen), Jasmin Klingan (UBG), Marion Roßberger (CSU), Harald Ruhbaum (MiFü) und Dr. Carola Wenzel (SPD) gäben gewiss einen guten Kulturausschuss ab, denn im Grunde hat hier so ziemlich alles Befürworter gefunden, worin sich Kultur manifestieren kann – was schon durch die Lebensläufe (Beruf, Amt, Engagement etc.) der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums begründbar war. Kino, Bibliothek, Bürgertreff, Museum, Aufenthaltsplätze im öffentlichen Raum, Veranstaltungsräumlichkeiten usw. usf. Die ganze Palette an Möglichkeiten, die nötig wären, das alles zu zeigen, was vor Ort de facto bereits an Sammlungen, Potenzialen und Kapazitäten vorhanden ist – eine reiche Geschichte inklusive. Und das ohne Rücksicht auf die finanziellen Vorbehalte. Lediglich Marion Roßberger (CSU) und Jasmin Klingan (UBG) konnten dieser Priorisierung nicht vorbehaltlos zustimmen und sahen andere soziale Aufgaben als vordringlicher.
Eine der entscheidenden Hürden für all die Ideen wurde zumindest erkannt: Es fehlt an Wertschätzung. Auch wenn dies im Gautinger Gemeinderat besonders ausgeprägt ist, kann dieses Defizit in Deutschland im Grunde flächendeckend beobachtet werden. Dann aber Kunst und Kultur auf Biegen und Brechen unbedingt als Wirtschaftsfaktor deklarieren und als Lockmittel für Kreativwirtschaft fungieren lassen zu wollen, konterkarierte allerdings alle die vielversprechenden Ansätze. Per Definition kann etwas nur dann freie Kunst und Kultur sein, was sich jenseits der Rollen von Produzent und Konsument abspielt und nicht von den ökonomischen Marktregeln bestimmt wird. Nur so können Kunst und Kultur überhaupt ihre Aufgaben erfüllen. Es geht um geistige Werte und Ideale, die sich in gewisser Weise am ethisch-moralischen Rahmen einer Gesellschaft orientieren sollten, aber sicher nicht daran, ob sie wirtschaftlich verwertbar sind. Lediglich der als Experte geladene Kinobetreiber und Gemeinderat in Gilching Matthias Helwig sprach – leider allzu beiläufig – den für viele unliebsamen Satz aus: „Kunst ist keine Branche“. Dass ein Kulturort auch für die Wirtschaft interessant ist, steht auf einem anderen Blatt.
Moderatoren Sabine Zaplin und Thomas Lochte gelang es, die Veranstaltung mit klaren Regeln wie geplant zeitlich sehr straff und diszipliniert zu halten. Dass die Gemeinderatskandidaten und –kandidatinnen ihre Beiträge so ungewöhnlich knackig auf den Punkt brachten und ihre Redezeiten durchgehend unterboten, lag wohl daran, dass es an Reibungsflächen fehlte und sich alle Beteiligten inhaltlich weitgehend einig waren. Nur zwischen den Zeilen war zu vernehmen, dass es hier durchaus um verschiedene Kulturbegriffe ging, auch wenn sich alle darum bemühten, Wählerwirksam die örtlichen Kulturschaffenden und für die Kultur Engagierten im Blick zu behalten. Obgleich die Sichtbarmachung der Gautinger Historie für alle Mitdiskutierenden wichtig war, hob lediglich Stefan Berchtold (MfG/Piraten) die Aufarbeitung der Zeit des Dritten Reiches explizit hervor. Annette Derksen (Die Grünen) erinnerte indes an den 75 Jahre alten jüdischen Friedhof in Gauting.
An Seitenhieben in Richtung des aktuellen Gemeinderats fehlte es nicht, originell auch wieder von Stefan Berchtold (MfG/Piraten) mit dem Hinweis auf das „unglücklich vermietete“ Schloss Fußberg, das der kulturellen Nutzung zugeführt werden solle, formuliert. Dass der Bahnhof zum Kulturforum für Bürger Gautings werden soll, dafür sprachen sich alle Gesprächsteilnehmer aus, wenn auch zum Teil zugunsten der Finanzierung mit wirtschaftlicher Nutzung kombiniert. Konsens herrschte indes in der Aussage: Der Kulturetat muss großzügig sein und darf nicht gekürzt werden.
Gerade im bosco, dessen Mittel jüngst erheblich beschnitten wurden, hallten diese Aussagen gewiss lange nach. Es dürfte allerdings auch niemandem entgangen sein, dass in den meisten Aussagen etwas Entscheidendes fehlte: Der Blick über den eigenen Tellerrand, für den das Theaterforum Gauting als Betreiber des bosco von Anfang an stand und weiterhin mit überwältigenden Erfolg pflegt. Nicht zuletzt als künstlerischer Leiter des Fünfseen-Filmfestivals (FSFF), Matthias Helwig, lebt zwar schon seit vielen Jahren die weit geöffnete Vernetzung mit großer Wirkung vor, prägte hier allerdings die Empfehlung aus, die reichen Schätze vor Ort „zu hegen und zu pflegen“. Mit dem Wissen über ihre Herkunft aus Russland, wo Kultur einen sehr hohen Stellenwert bei der Bevölkerung genießt, verwunderte es nicht, dass ausgerechnet Vorstandsvorsitzende der örtlichen FDP, Victoria Beyzer, immer wieder auf die Rolle der Kultur in der Gesellschaft verwies, was schließlich als Sicherung des sozialen Friedens und Mittel gegen den Rechtsruck auch seine Formulierung fand.
Viel Applaus im Publikum erntete immer wieder der als Experte geladene Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler, dessen Blick von außen viel Weises enthielt. Vor allem als er den Diskutanten empfahl, die Kultur und die Dialogfähigkeit in den Gemeinderat hineinzubringen, nicht zuletzt als demokratische Haltung gegenüber dem sich breitmachenden, pöbelnden Populismus. Er warnte auch vor wirtschaftlicher Orientierung in der Kultur, die letztendlich zum reinen Mainstream führe. Eine klare Ansage, die auch dem Theaterforum im bosco inhaltlich den Rücken stärkte, was bei den so oft ausverkauften Veranstaltungen gar nicht nötig sein sollte.
Und nachdem hier sieben Parteien und Gruppierungen vertreten waren, ist davon auszugehen, dass die Stimmen nicht für alle reichen werden. Was sich also bei der weniger Diskussion als Präsentation danach so angehört hat, als sollte der in der Bayerischen Verfassung festgeschriebene Auftrag der Pflege der Kultur, an den Gerd Holzheimer hochfeierlich erinnerte, eine Priorisierung erhalten, ist weit davon entfernt, im Gautinger Gemeinderat überhaupt wahrgenommen zu werden.
Stefan Berchtold (MfG/Piraten), Victoria Beyzer (FDP), Annette Derksen (Die Grünen), Jasmin Klingan (UBG), Marion Roßberger (CSU), Harald Ruhbaum (MiFü) und Dr. Carola Wenzel (SPD) gäben gewiss einen guten Kulturausschuss ab, denn im Grunde hat hier so ziemlich alles Befürworter gefunden, worin sich Kultur manifestieren kann – was schon durch die Lebensläufe (Beruf, Amt, Engagement etc.) der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums begründbar war. Kino, Bibliothek, Bürgertreff, Museum, Aufenthaltsplätze im öffentlichen Raum, Veranstaltungsräumlichkeiten usw. usf. Die ganze Palette an Möglichkeiten, die nötig wären, das alles zu zeigen, was vor Ort de facto bereits an Sammlungen, Potenzialen und Kapazitäten vorhanden ist – eine reiche Geschichte inklusive. Und das ohne Rücksicht auf die finanziellen Vorbehalte. Lediglich Marion Roßberger (CSU) und Jasmin Klingan (UBG) konnten dieser Priorisierung nicht vorbehaltlos zustimmen und sahen andere soziale Aufgaben als vordringlicher.
Eine der entscheidenden Hürden für all die Ideen wurde zumindest erkannt: Es fehlt an Wertschätzung. Auch wenn dies im Gautinger Gemeinderat besonders ausgeprägt ist, kann dieses Defizit in Deutschland im Grunde flächendeckend beobachtet werden. Dann aber Kunst und Kultur auf Biegen und Brechen unbedingt als Wirtschaftsfaktor deklarieren und als Lockmittel für Kreativwirtschaft fungieren lassen zu wollen, konterkarierte allerdings alle die vielversprechenden Ansätze. Per Definition kann etwas nur dann freie Kunst und Kultur sein, was sich jenseits der Rollen von Produzent und Konsument abspielt und nicht von den ökonomischen Marktregeln bestimmt wird. Nur so können Kunst und Kultur überhaupt ihre Aufgaben erfüllen. Es geht um geistige Werte und Ideale, die sich in gewisser Weise am ethisch-moralischen Rahmen einer Gesellschaft orientieren sollten, aber sicher nicht daran, ob sie wirtschaftlich verwertbar sind. Lediglich der als Experte geladene Kinobetreiber und Gemeinderat in Gilching Matthias Helwig sprach – leider allzu beiläufig – den für viele unliebsamen Satz aus: „Kunst ist keine Branche“. Dass ein Kulturort auch für die Wirtschaft interessant ist, steht auf einem anderen Blatt.
Moderatoren Sabine Zaplin und Thomas Lochte gelang es, die Veranstaltung mit klaren Regeln wie geplant zeitlich sehr straff und diszipliniert zu halten. Dass die Gemeinderatskandidaten und –kandidatinnen ihre Beiträge so ungewöhnlich knackig auf den Punkt brachten und ihre Redezeiten durchgehend unterboten, lag wohl daran, dass es an Reibungsflächen fehlte und sich alle Beteiligten inhaltlich weitgehend einig waren. Nur zwischen den Zeilen war zu vernehmen, dass es hier durchaus um verschiedene Kulturbegriffe ging, auch wenn sich alle darum bemühten, Wählerwirksam die örtlichen Kulturschaffenden und für die Kultur Engagierten im Blick zu behalten. Obgleich die Sichtbarmachung der Gautinger Historie für alle Mitdiskutierenden wichtig war, hob lediglich Stefan Berchtold (MfG/Piraten) die Aufarbeitung der Zeit des Dritten Reiches explizit hervor. Annette Derksen (Die Grünen) erinnerte indes an den 75 Jahre alten jüdischen Friedhof in Gauting.
An Seitenhieben in Richtung des aktuellen Gemeinderats fehlte es nicht, originell auch wieder von Stefan Berchtold (MfG/Piraten) mit dem Hinweis auf das „unglücklich vermietete“ Schloss Fußberg, das der kulturellen Nutzung zugeführt werden solle, formuliert. Dass der Bahnhof zum Kulturforum für Bürger Gautings werden soll, dafür sprachen sich alle Gesprächsteilnehmer aus, wenn auch zum Teil zugunsten der Finanzierung mit wirtschaftlicher Nutzung kombiniert. Konsens herrschte indes in der Aussage: Der Kulturetat muss großzügig sein und darf nicht gekürzt werden.
Gerade im bosco, dessen Mittel jüngst erheblich beschnitten wurden, hallten diese Aussagen gewiss lange nach. Es dürfte allerdings auch niemandem entgangen sein, dass in den meisten Aussagen etwas Entscheidendes fehlte: Der Blick über den eigenen Tellerrand, für den das Theaterforum Gauting als Betreiber des bosco von Anfang an stand und weiterhin mit überwältigenden Erfolg pflegt. Nicht zuletzt als künstlerischer Leiter des Fünfseen-Filmfestivals (FSFF), Matthias Helwig, lebt zwar schon seit vielen Jahren die weit geöffnete Vernetzung mit großer Wirkung vor, prägte hier allerdings die Empfehlung aus, die reichen Schätze vor Ort „zu hegen und zu pflegen“. Mit dem Wissen über ihre Herkunft aus Russland, wo Kultur einen sehr hohen Stellenwert bei der Bevölkerung genießt, verwunderte es nicht, dass ausgerechnet Vorstandsvorsitzende der örtlichen FDP, Victoria Beyzer, immer wieder auf die Rolle der Kultur in der Gesellschaft verwies, was schließlich als Sicherung des sozialen Friedens und Mittel gegen den Rechtsruck auch seine Formulierung fand.
Viel Applaus im Publikum erntete immer wieder der als Experte geladene Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler, dessen Blick von außen viel Weises enthielt. Vor allem als er den Diskutanten empfahl, die Kultur und die Dialogfähigkeit in den Gemeinderat hineinzubringen, nicht zuletzt als demokratische Haltung gegenüber dem sich breitmachenden, pöbelnden Populismus. Er warnte auch vor wirtschaftlicher Orientierung in der Kultur, die letztendlich zum reinen Mainstream führe. Eine klare Ansage, die auch dem Theaterforum im bosco inhaltlich den Rücken stärkte, was bei den so oft ausverkauften Veranstaltungen gar nicht nötig sein sollte.
Reinhard Palmer, 08.02.2020
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.