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Nach(t)kritik

Fr, 25.09.2020
20.00 Uhr

Problem-Onkel

Veranstaltung: Django Asül: Offenes Visier

Die Neuerung bestand für Django Asül diesmal darin, dass er sich seine üblichen zwei Weißbier pro Auftritt gleich selber einschenken durfte – zu Corona-Zeiten muss nämlich ohne Pause (und ohne „Bar rosso“) durchgespielt werden, da ist so ein Getränkevorrat überlebenswichtig. Kurz vor der Weißbier-Not bzw. Pandemie hatte der 48-jährige Hengersberger sein aktuelles Programm „Offenes Visier“ geschrieben, das er nun im Bosco vorstellte – wie er selber sagte, ein Versuch, sich in solidarischem Verhalten zu üben. Nun ist ja ein offenes Visier ungefähr das Gegenteil von pflichtschuldigem Maske-Tragen, sollte man meinen. Asül meint damit wohl, dass er unverstellt und ohne selbst auferlegte Denkverbote ans kabarettistische Werk geht – nun ja: Hat er das nach 25 Jahren auf der Bühne nötig? Man hört die eingerannte offene Tür geradezu in den Angeln ächzen. Vielleicht ist der Beinahe-Fuffzger, der sich zwischendurch „ein ausgeglichenes Wesen“ bescheinigt, ja gerade in einer büßerischen Phase seines Lebens angelangt, die ihn darüber nachdenken lässt, dass er als Schüler einst „ein Kotzbrocken vor dem Herrn“ gewesen ist? Einer, der seiner Lehrerin ungefähr am dritten Schultag bereits bewundernd-schleimerisch zuraunte, wie sie das nur aushalte „mit diesem Gesocks“?

Zu Django Asüls Stärken als Kabarettist zählte immer dieser grobschlächtige Darwinismus seiner Figuren, die entweder zu den Stammtischrunden zweier Hengersberger Cafés gehören oder anatolischen Migrationshintergrund aufweisen (oder beides). Da wird dann mit geradezu Trump´scher Abstrusität die komplexe Welt erklärt und genau dadurch auch das Ausmaß der globalen Verwirrung – bei Asül funktioniert das so zuverlässig wie sein Eintreffen „Punkt 10:30 Uhr“ in der Stammtischrunde. Aus der alles einebnenden Grundtonart solcher Caféhockerwortbeiträge ergibt sich ein immerwährend philosophierender Mahlstrom ohne groß pointierendes Auf und Ab – und doch haben viele dieser Sätze nachhallende Qualität, etwa wenn er die Lieblingsfernsehsendung seiner Jugend so beschreibt: „´Was bin ich?´ - eine Mischung aus ´Wer wird Millionär?´ und Nürnberger Prozessen“. Oder sein wie nebenbei geliefertes Statement zum öffentlichen Personennahverkehr: „Die Zukunft – eine abstrakte Variante der Münchner S-Bahn“ - kommt sie, kommt sie nicht? Asül sagt von sich, er sei „sozialisiert von niederbayerischen Aborigines“. Das wäre dann einer wie der „Hans“ aus seinem Café, der das bemerkenswerte Hobby hat, auf Prominenten-Beerdigungen zu gehen. Prägend aber auch sein anatolischer Onkel, dem er immer auf dem Hengersberger Marktplatz über den Weg läuft (auf dem Weg zum Stammcafé, versteht sich): „Schtart-Upp ist, wenn ich bin so blöd, dass ich gebe meine Sohn Geld. Wo andere hat Hirn, meine Sohn hat W-lan!“ Erkenntnisgewinn beim Onkel drückt sich übrigens meist mit einem gepressten „Aha!“ aus. Diese wohlfeile Verarschung des noch nicht wirklich in der Moderne angekommenen Türken gehörte schon immer zu Asüls Repertoire, auch wenn er sie heute etwas weniger einstreut als früher. Sie passt ganz gut zum Weißbier-Plauderton am Stehpult und schafft es doch, nicht allzu bierzelttauglich zu werden, wie es beim unsäglichen „Kollegen“ Harry G. und dessen kaum verhohlener Fremdenfeindlichkeit passiert. Bei Django Asül kommt die politische Unkorrektheit subtiler daher, indem er zum Beispiel feststellt: „Mohr im Hemd ist rassistisch, weil nicht einmal garantiert ist, dass jeder Mohr ein Hemd hat.“ Tätää! Benennt durchaus die Wahrheit, riskiert aber auch ein paar rechte Schenkelklopfer.

Was das alles mit dem Solidaritätsgedanken und dem „offenen Visier“ zu tun hat? Nicht allzu viel. Asül umspielt die Sache lieber, streift die Idee des „ehrenamtlichen Immobilienmaklers, Zielgruppe mittleres Segment“, denkt als bekennender Besserverdiener über eine mögliche „Kausalität zwischen Geld und Lebensdauer“ nach. Versucht der hochintelligenten Nichte so lange Nachhilfe zu geben, bis er selber zum Problem-Onkel wird, dem Mathe erklärt werden muss. In der Zugabe wird Asül später noch auf die prekäre Lage weniger erfolgreicher Kolleg/Innen hinweisen und darauf, dass der Staat „zuverlässig alle Hilfe an ihnen vorbei gelenkt“ habe. Im Großen und Ganzen ist bei ihm selbst diesmal doch eher Zufriedenheit als Reibung an der Welt zu spüren, aber das macht nichts, die Dinge sind nun mal so, wie sie sind, und Asül beschreibt die Umkehrung der Werte trocken-treffend: „Clans in Berlin? Das ist doch das einzige Gebilde, das dort funktioniert!“

Zum Auftritt im Bosco unter reduzierten Bedingungen merkt er diesmal auch noch was an: „Andere träumen von so einem Abend in Gauting – ich aber lebe meine Träume!“ Und: „Ich hätt´ jetzt kein Geld bezahlt, um den Abend mit Ihnen zu verbringen.“ A bisserl Abstand zum Volk muss schon sein, gerade in Corona-Zeiten.

Thomas Lochte, 26.09.2020


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 25.09.2020 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.